Donnerstag, 30. April 2009

Konsequenzen in der Moskauer Miliz

Der Amoklauf eines Moskauer Polizeioffiziers am Montag hat schnelle und harte Konsequenzen nach sich gezogen. Bereits am Dienstagabend hat Präsident Medwedew sowohl den Moskauer Polizeichef, Wladimir Pronin, als auch den Polizeichef des Stadtkreises Süd, Viktor Agejew, abgesetzt. Ebenso wurden drei Stellvertreter Agejews entlassen. Das ist eine Reaktion auf das Fehlverhalten von Amtspersonen, die in Rußland leider noch viel zu selten vorkommt. Statt dessen wird oftmals nach dem Motto "Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus" verfahren. Aber vielleicht äußert sich hierin Medwedews neuer Stil bei der Bekämpfung von Amtsmißbrauch und Korruption.

Dem Täter droht eine lebenslange Haftstrafe. Über den Hergang der Tat berichtet Rußland Aktuell:
"[...]

Die drei Streifenpolizisten, die den Mörder stellten und überwältigten, werden jetzt Auszeichnungen erhalten. Besonders lobenswert sei, dass sie den Amok laufenden Miliz-Major Denis Jewsjukow lebend stellten und nicht erschossen, obwohl sie in dieser Situation dazu das volle Recht gehabt hätten.
In einem Interview erklärte einer von ihnen, sie hätten ihren durchgedrehten Kollegen das erste Mal im Scheinwerferlicht ihres Streifenwagens im Hof hinter dem Supermarkt gesehen, als dieser mehrere Frauen herausführte und an die Wand stellte. Zuvor hatten sie den erschossenen Autofahrer und einen tödlich verletzten Supermarktkunden gefunden.

Rettender Müllcontainer

Die Aufforderung, die Waffen niederzulegen, beantwortete der Amokläufer mit Schüssen, worauf sich einer der Milizionäre in einen Müllcontainer warf. Dies rettete ihm möglicherweise das Leben, weil der Behälter über 30 Meter Distanz den Pistolenkugeln des Schützen standhielt.
Gemeinsam mit einer zweiten Streifenwagen-Besatzung und Wachleuten des Supermarkts wurde dann der Hof durchsucht, in dem sich Täter versteckt hatte. Schließlich feuerte dieser aus nur zwei Meter Entfernung auf einen seiner Kollegen, der nicht einmal eine schutzweste trug – und verfehlte ihn. Daraufhin gelang es dem Polizisten, dem Amokläufer die Waffe aus der Hand zu schlagen.

Der Täter wehrte sich bis zum Schluss

„Es begann ein Kampf. Der Mörder wehrte sich verbissen, aber zu dritt haben wir ihn überwältigt und ihm Handschellen angelegt. Jewsjukow war dem Anschein nach nicht besonders betrunken. Aber sein Blick war völlig sinnentlehrt, irgendwie tierisch. Er schimpfte und schrie herum, er werde uns umbringen und versetzen lassen", so einer der drei an der Festnahme beteiligten Milizionäre.
"Wir haben in dem Moment nicht geglaubt, dass er Milizionär ist“, fügte er hinzu - trotz der Uniformjacke, die der Amokläufer getragen hatte."
Weitere interessante Hintergründe und weshalb sich Milizionäre und Banditen psychologisch ähnlich sind, erläutert Gisbert Mrozek in seinem Kommentar.


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Dienstag, 28. April 2009

28.04.2009: Video des Tages

Im folgenden Bericht des Fernsehsenders Russia Today geht es noch einmal um den gestrigen Amoklauf eines leitenden Polizeibeamten in Moskau.
Interessant ist, daß die Herkunft der Tatwaffe unklar ist. Es war wohl nicht die Dienstpistole des Majors, sondern eine aus dem Polizeiarsenal verschwundene Makarow, die schon in andere Straftaten verwickelt war.




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Montag, 27. April 2009

Schon wieder ein amoklaufender Polizist

Diesmal in Moskau. In der vergangenen Nacht hat dort ein wild um sich schießender Polizeibeamter namens Ewsjukow drei Menschen getötet und sechs weitere verletzt. (Ist Amoklauf hier überhaupt der richtige Begriff?) Rußland Aktuell berichtet:
"[...]

Bei dem Amokläufer handelt es sich um einen Polizeioffizier, genauer gesagt den Chef der Polizeistation Zaryzino. Der Major kam in der Sonntagnacht vom Dienst nach Hause. Auf dem Heimweg geriet er in Streit mit seinem Taxifahrer. Das war offensichtlich der Auslöser des Blackouts.

Milizionär erschießt seinen Chauffeur

Der Milizionär zog seine Pistole und erschoss den Taxifahrer kaltblütig. Dann stieg er aus und marschierte über die Hinterhöfe in den Supermarkt „Ostrow“. Auf dem Weg dorthin verletzte er einen Mann und eine Frau.
Im Geschäft eröffnete er sofort eine wilde Schießerei. Die Kassiererin erlag noch am Tatort ihren Verletzungen. Fünf Personen wurden angeschossen und mussten ins Krankenhaus eingeliefert werden. Augenzeugen gelang es, die Polizei zu rufen.

Täter widersetzt sich der Verhaftung

Der eintreffenden Patrouille gelang es nicht gleich, ihren Kollegen festzunehmen. Der Täter hatte offensichtlich jede Menge Munition. „Er hat aktiv um sich geschossen und Widerstand geleistet. Es ist ein Wunder, dass keiner der Männer, die ihn verhafteten, verletzt wurde“, sagte ein Polizeisprecher.
Kurz nach der Verhaftung des Polizeimajors traf auch der aus dem Bett geklingelte Polizeichef von Moskau Wladimir Pronin ein. Der nahm die Ermittlungen unter seine persönliche Aufsicht und verteidigte seinen Untergebenen erstmal. Der sei stets ein guter Beamter gewesen und erst kürzlich befördert worden.

[...]"
Auslöser war möglicherweise ein Familienstreit. Interessant ist die Reaktion des Polizeichefs. Wie es "sich gehört", wird der eigene Mann erst einmal in Schutz genommen. Doch die Moskauer Innenbehörde hat ein Problem, welches der bayerischen Polizeiführung im Januar erspart geblieben ist: Der Täter hat überlebt. Schon deshalb wird man den Vorfall nicht - wie in Lauf a.d.P. geschehen - unter den Teppich kehren und die Ursachenforschung im Sande verlaufen lassen können. Und so drohen denn auch schon erste Konsequenzen:
"[...]

Bei der Tatwaffe soll es sich [nicht] um die Dienstpistole, sondern um eine seit Jahren gesuchte Makarow-Pistole handeln. Daher beginnt nun eine umfassende Überprüfung der gesamten Munitions- und Waffenbestände der Polizei.
Zudem sollen sich in Kürze auch alle Polizisten in Moskau einem Psychotest unterziehen. Dies sei notwendig, nachdem der Täter offenbar unter starkem psychischem Druck gestanden habe, erklärte ein Sprecher des Polizeiapparats."
Nun sind auch Polizeibeamte Menschen wie jeder andere - einschließlich aller Probleme und Risiken, die damit verbunden sind. Es wird doch aber niemand mehr ernsthaft behaupten wollen, Staatsdiener seien per se zuverlässiger als Normalbürger. Erfreulich ist, daß man in Moskau nicht versucht, die Probleme, die zum gestrigen Amoklauf geführt haben, auf "die Gesellschaft" abzuwälzen oder in legislativen Aktionismus verfällt, sondern statt dessen in seinem eigenen Haus kehrt. Mal sehen, was dabei herauskommt.

PS: Hier und hier findet man Fernsehberichte über das Ereignis.


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Mittwoch, 22. April 2009

Russische Waffen- und Militärzeitschriften


Da liegt sie nun vor mir: das erste Heft der russischen Zeitschrift Bratischka (dt.: Brüderchen), das ich im Abonnement erhalten habe. Aufgefallen war mir dieses Magazin erstmals vor etwa vier Jahren im Diskussionsforum der Red Alliance. Bei meinen Rußlandbesuchen in den folgenden Jahren habe ich dann meist das aktuelle Heft mitgebracht. Als sich dann vor drei Monaten die Frage gestellt hat, ob ich eine russische Waffen- bzw. Militärzeitschrift abonnieren würde, habe ich mich für Bratischka entschieden.

Warum? Das Themenspektrum gefällt mir im Vergleich zu den beiden Waffenmagazinen i.e.S. besser. Letztere – Kalaschnikow und Oruzhie (dt.: Waffen) – sind zwar im Hinblick auf waffentechnische und -geschichtliche Fragen sehr kompetent, jedoch nehmen die Berichte über (aus russischer Sicht) ausländische Waffen breiten Raum ein und sind für den von Visier & Co. verwöhnten Deutschen nur von begrenztem Interesse. Daher werde ich auch in der absehbaren Zukunft diese beiden Zeitschriften nur in Form von Einzelheften erwerben.

Bratischka wird u.a. vom Veteranenverband der Spezialeinheit „Vityas“ herausgegeben. Die Monatszeitschrift erscheint seit über zehn Jahren und wirkt in der Aufmachung sehr professionell. In Deutschland kann sie z.B. über die Presseagentur Raduga bezogen werden.

Die Mischung von in- und ausländischen, aktuellen und historischen Themen im Heft 4/2009 ist für diese Zeitschrift typisch, weshalb ich nachfolgend die Beiträge einmal kurz auflisten werde: Reportage über ein Aufklärungsbataillon der Inneren Truppen; Bericht über die sowjetische Marineinfanterie in diversen Weltgegenden (z.B. Syrien); Arbeit mit Diensthunden; Biographie eines Fallschirmjägeroffiziers; Erlebnisbericht eines Soldaten aus dem zweiten Tschetschenienkrieg; Reportage über die Schießsportdisziplin Benchrest; Bericht über eine Operation während des Afghanistankrieges; zwei Berichte über Waffenproduktion sowie über russische Vorderladerwaffen vom 14. bis 17. Jh.; Bericht über eine Partisanenoperation während des 2. WK; Artikel über Krav Maga; Reportage über argentinische Anti-Terror-Einheiten; Bericht über eine Operation des britischen SAS während des Falklandkrieges; Messebericht über die IWA 2009; Bericht über das Leben des Generals Markow (inkl. Vorstellung einer Bürgerkriegs-Reenactment-Gruppe).


Dienstag, 21. April 2009

Rückzug aus Tschetschenien?


Eine der interessantesten Meldungen der vergangenen Wochen aus Osteuropa lautete: "Moskau will sich offenbar aus Tschetschenien zurückziehen". Die dahinterstehende Wirklichkeit ist allerdings weit weniger spektakulär und so lasen sich die Berichte vom letzten Donnerstag auch schon nüchterner.
Was ist denn nun wirklich passiert? Das Anti-Terror-Komitee der Rußländischen Föderation hat zwei Anordnungen Präsident Jelzins aus dem Jahr 1999 aufgehoben, mit denen erstens die Republik Tschetschenien zu einer Anti-Terror-Zone erklärt worden war, in der die Sicherheitsbehörden besondere Befugnisse hatten, und zweitens eine besondere Gruppierung der Streitkräfte gebildet worden war.
Welche direkten Folgen haben diese Maßnahmen? Die rechtliche Sonderstellung Tschetscheniens, die sich invielen Details gezeigt hatte, ist beendet und der größte Teil der dort stationierten 20.000 Soldaten und föderalen Polizeikräfte wird demnächst abgezogen werden. (Der Abzug erscheint der Regierung auch aus finanziellen Gründen geboten, schließlich ist der Unterhalt eines solchen Kontingents nicht ganz billig.)

Die russischen Tageszeitungen Wremja Nowostej und Wedomosti kommentieren das Ereignis wie folgt:
"[...]

Das in der Tschetschenischen Republik im September 1999 eingeführte Regime der Antiterror-Operation ist ab 16. April aufgehoben worden, schreiben russische Zeitungen am Freitag.
Formal wird sich Tschetschenien bis Ende 2009 endgültig in die üblichen russischen Regionen einreihen.

Die groß angelegten Kampfhandlungen in Tschetschenien hörten 2001 auf. Seit 2003 hat die Republik einen Moskau genehmen Präsidenten, eine Verfassung, die festlegt, dass die Republik zu Russland gehört, ein Parlament und Gerichte. Jetzt kommt ein System von Kommunen hinzu. Zum Teil ist das eine Art Ritual: Hätten die tschetschenischen Dörfer keine reale Selbstverwaltung gehabt, hätten sie den Krieg nicht überlebt.
Wie es sich für eine regionale gesetzgebende Versammlung in Russland auch gehört, unterstützt das Parlament jede Initiative von Präsident Ramsan Kadyrow. Nur dass der Grad der inneren Selbstständigkeit des tschetschenischen Präsidenten über dem Freiheitsgrad eines jeden anderen regionalen Leiters in Russland liegt.
In Tschetschenien selbst besteht die Meinung, das sei ein gerechter Tribut an die "besonderen Bedingungen der Wiederherstellung". In anderen Regionen wird Tschetschenien im Stillen beneidet.

Die etatmäßige Versorgung je Einwohner ist in der Republik doppelt so hoch wie der Durchschnitt im Südlichen Föderalen Bezirk. Russland hat in Tschetschenien bereits bedeutende Geldmittel investiert.
Im Rahmen des föderalen Zielprogramms für die Wiederherstellung der Wirtschaft und der sozialen Sphäre Tschetscheniens 2002 - 2006 hat der Fiskus 30,6 Milliarden Rubel bereitgestellt (1 Euro entspricht etwa 44 Rubel). 2007 erhielt die Republik weitere 11,9 Milliarden Rubel, das laufende Hilfsprogramm für den Zeitraum 2008 - 2011 sieht 111 Milliarden Rubel vor.
Bisher haben sich diese Anlagen nicht adäquat rentiert. Die Durchschnittslöhne sind in der Republik (laut Angaben des russischen Statistikamts 11 490 Rubel) höher als in den meisten Nachbarregionen, aber auch die Arbeitslosigkeit ist hoch (2008: ca. 50 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung). Vergleichbare Kennziffern weist nur Inguschetien mit seinen 45 bis 48 Prozent auf, in Dagestan sind es 16 Prozent, in den übrigen Regionen weniger.

Das Projekt "Kadyrow" (zuerst Achmat, dann sein Sohn Ramsan), das das föderale Zentrum 1999 einleitete, ist absolut erfolgreich. Der Krieg gegen die eigenen Bürger wird den russischen Delegationen nicht mehr bei jedem internationalen Treffen aufs Brot geschmiert. Die russische Armee ist von ihrer Last befreit worden, wenn man natürlich von den Spezialeinheiten absieht, die ab und zu ins Gebirge entsandt werden, um gegen die Extremisten von Umarow zu kämpfen.

[...]"
(Ausführlich dazu auch dieser Artikel von Dmitrij Babitsch; eine Bilderreihe zum Thema ist hier zu finden.)



Die Entscheidung vom 16. April ist das Ergebnis einer jahrelangen Entwicklung, mit der wieder ein Minimum an Normalität erreicht worden ist.
Nachdem sich die ethnischen Tschetschenen im ersten Krieg (1994 - 1996) eine weitreichende Autonomie innerhalb des Staatsverbandes der RF erkämpft hatten (der Vertrag wurde damals von Alexander Lebed mit ausgehandelt), ist im Land in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre der Islamismus immer weiter vorgedrungen. Er gipfelte in Forderungen nach der Errichtung eines Gottesstaates und der Vertreibung aller Ungläubigen aus dem Nordkaukasus. Derartige Ideen lassen sich allerdings kaum auf dem Weg des politischen Kompromisses durchsetzen.

Und so hat denn auch der tschetschenische Feldkommandeur Schamil Bassajew am 7. August 1999 mit rund 1500 bewaffneten Glaubenskriegern die Grenze zur Nachbarrepublik Dagestan überschritten, um den Dschihad im Namen Allahs zu führen. Dieses Ereignis (und nicht die Anschläge auf Wohnhäuser in Moskau und anderen Orten) waren der Beginn des Zweiten Tschetschenienkrieges, denn zur Abwehr der für einen "Low Intensity Conflict" erheblichen Anzahl von Kämpfern mußten größere Polizei- und Militäreinheiten nach Dagestan entsandt werden. (Komisch nur, daß diese Tatsachen in 99 % der „westlichen“ Medienberichte über den Konflikt nicht erwähnt werden, sind sie doch geeignet, das oft gezeichnete Bild der armen und heroischen Kämpfer für Freiheit und Unabhängigkeit zu erschüttern.)
Bis Anfang Oktober konnten die Sicherheitskräfte Dagestan weitgehend von den Eindringlingen säubern, danach wurden sie auf ihr tschetschenisches Rückzugsgebiet verfolgt. Damit hatte der Zweite Tschetschenienkrieg begonnen. Er wurde von den föderalen Sicherheitskräften erheblich professioneller geführt als der erste und so waren die größeren Kampfhandlungen bereits 2001 beendet.

Was folgte, war ein Guerillakrieg in dem sich Teile der Mudschahedin in die unwirtlichen Regionen des Landes zurückgezogen hatten und immer wieder Anschläge verübten. Die spektakulärsten fanden 2002 in Moskau und 2004 in Beslan statt.
Man muß jedoch die Besonderheiten des Kaukasus beachten. Die vielfältigen Loyalitäts- und Konfliktlinien aus ethnischer Zugehörigkeit, Religion, Verwandtschaftsbeziehungen und machtpolitischen Erwägungen (einschließlich Korruption) haben zu einer grundsätzlich anderen Gemengelage geführt als noch Mitte der 1990er Jahre. Tatsache ist: Bei weitem nicht alle Tschetschenen waren bereit, den Terroristen in ihrem Glaubenskrieg zu folgen. Hier kommt die Familie Kadyrow ins Spiel. Ihre starken Männer, Achmat und Ramsan Kadyrow, waren fähig, sich unter den bewaffneten Männern des Landes Respekt zu verschaffen und eine eigene Miliz aufzubauen. Damit boten sie sich auch als Verbündete der Zentralregierung in Moskau an, die erkannt hatte, daß in diesem Konflikt nur eine "indische Lösung" in Form weitgehender (politischer und rechtlicher) Autonomie und Selbstverwaltung Tschetscheniens Abhilfe versprach. Dafür brauchte man aber einen starken Mann vor Ort – Achmat Kadyrow.

Die weitgehende Befriedung Tschetscheniens ist mithin die Kombination aus einer kriegsmüden Bevölkerung, die mit Kadyrow eine einheimische politische Perspektive erhielt, und der erfolgreichen Arbeit der föderalen Sicherheitskräfte zu verdanken.
An dieser Stelle drängt sich ein Vergleich mit der Tätigkeit der NATO in Afghanistan auf. Während dort bereits im Jahr 2004 mit Hamid Karzai ein Präsident von amerikanischen Gnaden installiert wurde, ist es der von ihm geführten afghanischen Regierung bis heute nicht gelungen, ihre Autorität im Land zu festigen, rivalisierende Personen und Kräfte einzubinden und schlagkräftige Sicherheitskräfte zu formieren. Selbst Karzais Personenschützer sind Ausländer. Verglichen damit erscheint Tschetschenien fast schon als Erfolgsmodell für die Regulierung eines ethnisch-religiösen Konfliktes im islamischen Raum.

Dabei darf nicht vergessen werden, daß die Terroristen noch nicht besiegt sind (vgl. hier und hier), sondern nur erheblich geschwächt wurden, auch durch mehrere Amnestien. (Fraglich ist zudem, inwieweit ein vollständiger "Sieg" in einem derartigen Konflikt überhaupt realisierbar wäre. Wie definiert man hier überhaupt den Begriff "Sieg"?) Der harte Kern der Kämpfer hat sich in die tschetschenischen Berge zurückgezogen oder ist in die Nachbarrepubliken Inguschetien und Dagestan ausgewichen, in denen die Aufmerksamkeit der Sicherheitskräfte geringer war und wo heute die Schwerpunkte der terroristischen Aktivitäten liegen. Zu ausgedehnten Operationen wie 1999 sind sie schon lange nicht mehr fähig; neben kleineren Anschlägen auf Polizeistreifen sind sie vor allem damit beschäftigt, ihr eigenes Überleben zu sichern.

Die Befriedung des Nordkauksasus ist für die russische Föderalregierung nicht unproblematisch, etwa im Hinblick auf die Rechtseinheit der RF. Den Bürgern dort müssen ganz erhebliche Zugeständnisse gemacht werden. So ist etwa in Inguschetien seit 2006 während des Fastenmonats Ramadan der Verkauf und öffentliche Genuß von Alkohol ebenso wie das Rauchen in der Öffentlichkeit gesetzlich verboten. Außerdem kommt dem Islam in dieser Region mittlerweile eine recht offiziöse Rolle zu. Und Tschetschenien hat heute, nach dem Ende des gewaltsamen Separatismus, unter Ramsan Kadyrow einen ganz erheblichen Grad an Autonomie und Selbstverwaltung erreicht, welcher in der Rußländischen Föderation einmalig ist. Und von der Föderalregierung wird dieser Zustand auch noch üppig subventioniert.
Das ist in der Tat eine paradoxe Situation.

Der "Tausch" erscheint einfach: Die Muslime dürfen ihrer Religion folgend leben und – fast wie in den "wilden Zeiten" des 18. und 19. Jahrhunderts – ihre "inneren" Angelegenheiten weitgehend selbst und ohne Einmischung aus Moskau regeln, müssen sich dafür aber von religiös motivierter Gewalt und Separatismus fernhalten. Rational betrachtet ist dies eine ordentliche politische Lösung – freilich keine Lösung aus der sterilen ideologischen Retorte der üblichen Kämpfer für "Menschenrechte und Demokratie", sondern eine, die aus den konkreten politischen Verhältnissen entstanden ist. (Deshalb wird in der "westlichen" Presse auch heute noch, als hätte es in den letzten Jahren in Tschetschenien keinerlei Verbesserung gegeben, das angebliche Fehlen einer politischen Lösung bemängelt.)
Fragt sich nur, ob die Menschen des Nordkaukasus damit zufrieden sein werden oder ob der Same des Heiligen Krieges dort neue Früchte trägt.


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Fotos: RIA Nowosti.

Donnerstag, 16. April 2009

Frauen in der Roten Armee

Am Montag hat ein Besucher aus Wien mit dem Namen „Suzie“ die Tagesbilder vom 23.02.2009 in einem nicht besonders freundlichen Ton kommentiert. Ich werde diesen Kommentar nicht löschen, will mich jedoch mit den darin enthaltenen Vorhaltungen auseinandersetzen.

1. Der Einsatz von Frauen in Kampfverbänden durch die Rote Armee sei „perfide“ gewesen und habe nur dem Ziel gedient, die Moral der armen Deutschen zu untergraben.
Tatsache ist: Die Verwendung von Frauen, auch für Kampfaufgaben, entsprang in der Sowjetunion während des 2. WK der puren Notwendigkeit. Insgesamt wurden in der SU etwa 800.000 Frauen für den Kriegseinsatz mobilisiert, davon ein nicht unbeträchtlicher Teil in Verwendungen an der Front, etwa als Pilotin, Kraftfahrerin oder Scharfschützin. Die Mehrzahl diente jedoch im Luftschutz, in Sanitätseinheiten, Wäschereien, Bäckereien und anderen rückwärtigen Diensten.
Das war übrigens auch in Deutschland der Fall. Und ich sehe mich außerstande, einen qualitativen Unterschied zwischen einer weiblichen Flak-Bedienung und einer Scharfschützin zu erkennen. Es bedarf schon eines großen Maßes an geistiger Beschränktheit, um hierin „Perfidie“ zu sehen, zumal dieser Begriff offenkundig einer Privatdefinition von Suzie unterliegt und nichts mit dem kriegsvölkerrechtlichen Perfidieverbot zu tun hat.
Dazu kam noch, daß sich die Sowjetunion nach der Oktoberrevolution der Gleichberechtigung der Geschlechter verschrieben hatte. Daraus folgte der „Einbruch“ von Frauen in viele bisherige Männerdomänen. Mithin gab es auch keine ideologischen Gründe, die dem Kampfeinsatz von Frauen grundsätzlich entgegen gestanden hätten. (In Deutschland mußte man hingegen viele Verrenkungen unternehmen, um sowohl die Flakhelferin als auch die Mutterkreuzträgerin als Volksgenossinnen auf einen Nenner zu bringen – zumindest dem Äußeren nach.) Erstaunlicherweise hat aber gerade der 2. WK dazu geführt, daß das Frauenbild in der sowjetischen Gesellschaft wieder erheblich „konservativer“ wurde: An die Stelle der werktätigen und forschenden Frau trat zunehmend die Ehefrau und Mutter, die sich um die „2 K“ (ohne Kirche natürlich) zu kümmern hatte.



2. Eine glatte Lüge ist Suzies Behauptung, deutsche Soldaten hätten nicht auf Frauen geschossen. (Hier schimmert die – rassistische – Selbstbeweihräucherung der Wehrmacht als in jedem Falle „ritterlicher“ Armee durch, die gegen vorgeblich „asiatische Horden“ gekämpft habe.)
Die zeitgenössischen Quellen sprechen freilich eine andere Sprache. So z.B. die beiden Fotos (Quelle: s.u., S. 165). Beide sind von deutschen PK-Fotografen gemacht worden und zeigen gefallene Soldatinnen der Roten Armee. Eine davon wurde, wie deutlich zu sehen ist, mit einem Kopfschuß hingerichtet.
In diesem Kontext darf auch nicht vergessen werden, daß weiblichen Angehörigen der Roten Armee, die in deutsche Gefangenschaft geraten waren, der völkerrechtliche Kriegsgefangenenstatus verweigert worden ist. D.h. die Frauen wurden entweder zu Zivilgefangenen degradiert (und mußten dementsprechend Zwangsarbeit verrichten) oder sie wurden dem SD übergeben und von diesem entweder sofort exekutiert oder in Konzentrationslagern untergebracht (insbesondere Ravensbrück). Diese Frauen hatten aber noch Glück im Vergleich zu jenen, die von den deutschen Truppen noch an der Front als „entartete jüdische Flintenweiber“ liquidiert worden sind. (Entsprechende deutsche Quellen sind mir bekannt.)



3. Es kommt schon einer Verhöhnung des gesunden Menschenverstandes und zugleich dem Eingeständnis der eigenen Dummheit gleich, wenn Suzie mir deutsche und US-amerikanische Quellen empfiehlt, um meine vorgebliche Bildungslücke zu beheben. Erstens ist in amtlichen Dokumenten deutscher Provenienz, sofern sie nicht der Propaganda dienen sollten, recht offen vom harten Umgang mit den Rotarmistinnen die Rede. So beklagt sich z.B. General von Reichenau (übrigens ein Kriegsverbrecher i.e.S. des Wortes) 1941 darüber, daß immer noch „entartete Weiber zu Kriegsgefangenen“ gemacht würden, anstatt sie sofort zu erschießen.
Zweitens vermag ich nicht einzusehen, was uns Quellen aus den USA über die Ostfront des 2. WK sagen sollten. Was man in den USA darüber wußte, entstammte großteils dem Wissenstransfer gefangener deutscher Offiziere, die sich so beim neuen „großen Bruder“ im heraufziehenden Kalten Krieg beliebt machen wollten. Wenn man diese Texte liest, so trifft man auf ein komisches Gemisch aus Halbheiten, rassistischen Vorurteilen, und „demokratisierter“ NS-Propaganda: Ging es bis 1945 gegen die „jüdisch-bolschewistischen Untermenschen“, so hatte man schnell sein Fähnchen in den Wind gehängt und sprach danach von der „Verteidigung der freien Welt“. Was sollten uns diese Opportunisten heute in der Sache noch zu sagen haben?

Wo kann man sich statt dessen über Kriegseinsatz sowjetischer Frauen während des 2. WK informieren? Zum Einstieg ist in deutscher Sprache das Buch „Mascha, Nina, Katjuscha – Frauen in der Roten Armee 1941-1945“ zu empfehlen. Als Begleitband für eine Ausstellung im Museum Berlin-Karlshorst entstanden, werden in den Aufsätzen alle relevanten Fragen erörtert, wenngleich notgedrungen vieles kursorisch bleibt. (Daher wird man für eine intensivere Beschäftigung mit dem Thema auf russische Literatur zurückgreifen müssen, denn auch in der englischen ist es nur ein Randthema.) Behandelt werden die sozialgeschichtlichen Hintergründe, das Leben an der Front und die Wiedereingliederung in das Zivilleben. Die Texte werden durch einen umfangreichen Anhang mit den in der Ausstellung gezeigten Bildern und Dokumenten ergänzt, die auch Einblick in ganz konkrete Biographien geben. Bedauerlicherweise ist das Buch nur noch antiquarisch erhältlich.
Dieser Band ist für den Interessierten ein erheblich zuverlässigerer Wegweiser als diffuse Memoiren deutscher Soldaten, in denen etwa behauptet wird, sie hätten in ihrer Stellung einem „Frauenbataillon“ gegenüber gelegen. Dabei gab es in der Roten Armee keine Einheiten, die ausschließlich aus Frauen gebildet worden sind (die einzige Ausnahme von dieser Regel waren drei Fliegerregimenter der Luftstreitkräfte).

Ich bin gespannt, mit welchen Argumenten sich Suzie jetzt zu Wort melden wird. Hoffentlich verschont sie/er uns mit weiterer NS-Apologetik. (Um abschließend eventuellen Mißverständnissen vorzubeugen: Man muß kein Anhänger der Herren Reemtsma und Heer sein, wenn man bei der Betrachtung des 2. WK über das Niveau der Landserhefte hinausgewachsen ist.)


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Mittwoch, 15. April 2009

Molot in Not


Die Firma Molot im mittelrussischen Wjatskije Poljany ist auch deutschen Jägern und Sportschützen bekannt, fertigt sie doch u.a. Repetierflinten, Mosin-Nagant-Gewehre und Selbstladegewehre, die auf dem Kalaschnikowsystem basieren. Dazu kommen noch Handfeuer- und Panzerabwehrwaffen für militärische Kunden - und seit einem Jahr auch ein CO2-Gewehr namens PPSh-M, welches der legendären MPi PPSh nachempfunden ist. Im März war Molot noch auf der IWA in Nürnberg präsent. Am 9. April hat nun Rußland Aktuell gemeldet, daß auch dort die weltweite Finanzkrise zugeschlagen hat und das Unternehmen ernste Liquiditätsprobleme habe:
"[...]

Ein staatseigener Herstellerbetrieb von Schusswaffen will seine Mitarbeiter jetzt mit Lebensmitteln bezahlen, weil er den Lohn schuldig bleibt. Zehn Prozent der 5.000 Mitarbeiter haben bereits eingewilligt.

Die Lohnschulden des Werkes „Molot“ in Wjatskije Polany (Gebiet Kirow) belaufen sich auf 121 Mio. Rubel (2,7 Mio. Euro). Wegen der ausstehenden Gehaltszahlungen ermittelt die Staatsanwaltschaft. Allerdings ist klar, warum das Geld ausbleibt: Gerichtsvollzieher beschlagnahmen alle liquiden Mittel des staatseigenen Betriebs, um damit Forderungen von Zulieferern abzudecken.

[...]

In dieser Lage hat sich die Werksleitung als erster Betrieb Russlands zur Rückkehr zu einer Praxis entschieden, die in den Krisenjahren am Ende der 80er und zu Beginn der 90er Jahre üblich war: Die Arbeiter sollen als Abschlagszahlung Lebensmittelpakete im Gegenwert von 630 Rubel (14 Euro) bekommen. Sie werden einfache Nahrungsmittel wie Speiseöl, Mehl, Nudeln, Buchweizen, Zucker und Fleischkonserven enthalten, schreibt der „Kommersant“.

Die Rückkehr zu einer anderen in früheren Krisenjahren erprobten wirtschaftlichen Überlebenstechnik kommt im Falle von „Molot“ nicht in Frage: Viele russische Unternehmen „bezahlten“ damals ihre Mitarbeiter mit ihren eigenen Produkten – damit diese dann dafür auf Märkten selbst Kunden suchten. „Molot“ produziert allerdings Kalaschnikow-Maschinengewehre und Panzerabwehrwaffen.

[...]"
Ausgangspunkt für die Meldung war ein Bericht der Tageszeitung Kommersant (dt.: Kaufmann) über die Lage im Werk. Sonach wartet die Geschäftsführung noch auf 450 Mio. Rubel an Staatshilfen. Das 1940 gegründete Werk wird seit 2002 in der Rechtsform einer offenen Aktiengesellschaft geführt; 50 % der Aktien gehören der staatlichen Verteidigungsholding Rostechnologii (die auch Izhmash kontrolliert). In den ersten drei Quartalen des Jahres 2008 hat Molot einen Umsatz von 864 Mio. Rubel erwirtschaftet, dabei aber 149 Mio. Verlust gemacht.

Bleibt zu hoffen, daß sich Molot wieder fängt (schließlich warte ich noch auf die PPSh-M ;-)), denn die zivilen Produkte stellen eine echte Bereicherung des Angebotes dar.


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Sonntag, 12. April 2009

12.04.2009: Musik des Tages

Heute hören wir die moderne Fassung eines traditionellen orthodoxen Osterliedes: "Christos voskrese" (dt.: Christus ist auferstanden).



Samstag, 4. April 2009

04.04.2009: Videos des Tages

Nicht nur in Moskau, sondern auch in St. Petersburg werden während des Sommers die Touristen mit einem feierlichen Wachaufzug der Garnison unterhalten. Aufführungsort ist dort die traditionsreiche Peter-und-Pauls-Festung.



(Teil 1)


(Teil 2)


(Teil 3)


(Teil 4)

Donnerstag, 2. April 2009

Waffenrecht in Russland

Die Nachrichtenagentur RIA Nowosti hat vorgestern einen interessanten Kommentar aus der Feder von Wlad Grinkewitsch publiziert, der sich mit dem Zusammenhang zwischen legalem Waffenbesitz und Kriminalität beschäftigt:
"Waffenbesitz in Russland: Weniger Verbrechen durch mehr Kontrolle?

[...]

Hat ein Bürger das Recht, sein Leben und sein Vermögen mit einem Gewehr in der Hand zu verteidigen?
Diese Frage führt immer zu hitzigen Debatten in Politikerkreisen und an Stammtischen.

Die Praxis zeigt: ein Waffenschein führt nicht immer unbedingt zum Anstieg von Verbrechen. Ganz im Gegenteil, er kann dazu beitragen, dass die Zahl der Verbrechen sogar zurückgeht, wobei die meisten Phobien, die mit den Waffen verbunden sind, öfter auf fehlende objektive Information zurückzuführen sind.

In Russland existieren viele Mythen, die mit dem Waffengebrauch von einfachen Privatpersonen zu tun haben. Einer davon besagt, dass die russischen Bürger die weltweit wehrlosesten Menschen sind. Dies stimmt so nicht.

Seit 1994 haben alle zurechnungsfähigen und nicht vorbestraften Russen das Recht, sich einen Waffenschein zu besorgen und zu Hause ein Langlaufgewehr (doppelläufiges und Mehrladegewehr - mit manuellem Nachlader oder auch halbautomatisch) zur Selbstverteidigung aufzubewahren.

In Bezug auf den Gebrauch von Waffen für Bürger nimmt Russland eine Zwischenposition ein. Einerseits bleibt Russland noch ein weiter Weg bis zu den solchen Staaten wie Israel, die USA oder Finnland, in denen die Gesetze zum Waffenbesitz und -kauf ziemlich locker sind. Andererseits sind für Russland Verhältnisse wie in Australien und Großbritannien eher untypisch, denn dort werden die Waffengesetze kontinuierlich verschärft.

Allerdings begrenzt der russische Gesetzgeber im höchsten Maße die Möglichkeiten, die Schusswaffen zur Selbstverteidigung einzusetzen, wobei ein Langlaufgewehr nun wahrlich nicht das beste Mittel ist, um sich selbst zu Wehr zu setzen. Viel geeigneter wären hier ein Revolver oder eine Pistole. Doch den Russen ist es verboten, derartige Waffen zu besitzen.

Der bedeutende italienische Rechtsphilosoph des 18. Jahrhunderts, Cesare Beccaria, hat das Recht eines Bürgers, eine Waffe mit sich zu tragen, einmal so begründet: „Die Gesetze, die das Tragen einer Waffe verbieten, entwaffnen bloß denjenigen, der ohnehin nicht vorhat, eine Straftat zu begehen. Sie helfen den Angreifern und fügen deren Opfern Schaden zu, sie begünstigen einen Mord und verhindern ihn nicht.“

Die russischen Gegner des Waffenbesitzes für Privatpersonen insgesamt haben viele Einwände parat. Am häufigsten hört man den folgenden Satz: „Können Sie sich vorstellen, was passieren würde, wenn unsere Leute Waffen in die Finger kriegen würden - wir alle würden uns einfach gegenseitig abknallen“. Doch die Statistik spricht eine andere Sprache.

Das russische Waffengesetz, das den Erwerb eines Langlaufgewehrs zur Selbstverteidigung zulässt, gilt bereits seit 15 Jahren. Seitdem haben die russischen Bürger insgesamt mehr als fünf Millionen Schusswaffen angehäuft, wobei die Zahl der mit Hilfe einer legalen Waffe verübten Straftaten nur um 0,5 Prozent zunahm.

Jährlich werden in Russland etwa 20 000 Verbrechen unter Anwendung von Schusswaffen begangen, die legalen Waffen machen dabei lediglich den Bruchteil eines Prozents aus. Durchschnittlich entscheidet sich nur einer von 40 000 Waffenbesitzern dazu, eine Straftat mit Hilfe seiner legal zugelassenen Waffe zu begehen.

Die weltweite Praxis zeigt, dass die Erlaubnis des Waffenbesitzes nicht unbedingt zum Anstieg der Kriminalität führt, das Verbot aber schon. Die US-Städte, in denen das Tragen einer Waffe verboten ist (Washington, Chicago, New York), zeichnen sich durch die ungewöhnlich hohen Kriminalitätsraten aus. In den US-Bundesstaaten hingegen, wo das Recht des verdeckten Tragens einer Waffe eingeführt worden war, war ein Rückgang der Zahl der Straftaten wie Mord, Raubüberfall oder Vergewaltigung zu beobachten.

Was veranlasst also den Staat, seine eigenen Bürger zu entwaffnen? Es ist des Öfteren die Reaktion auf die so genannte „nicht motivierte“ Gewalt. Doch die Europäer und die Amerikaner haben schon seit Jahrhunderten Schusswaffen bei sich zu Hause, die Zahl der Amokläufe nahm dramatisch nur in den letzten Jahrzehnten zu. Die Psychologen stellen bisweilen häufiger fest, dass zur Waffe vermehrt die Generation greift, die vor der Flimmerkiste und vor dem Computer aufwächst.

Andererseits ist es möglich, Amok auch ohne Schusswaffen zu laufen. Erinnern wir uns bloß an die Messerstecherei in einer belgischen Kinderkrippe, wo nach Angaben der Polizei zwei Kinder und ein Erwachsener getötet worden waren. Oder nehmen wir ein Beispiel in Moskau, wo ein Mann mit einem geklauten Auto etwa 16 Menschen niederfuhr - aus Protest gegen ökonomische und soziale Missstände, hieß es. Niemand wollte danach die Küchenmesser oder die Autos verbieten. Apropos Autos: Im vergangenen Jahr wurden in Russland fast 30000 Menschen bei Verkehrsunfällen getötet."

PS: Der Text des Föderalen Waffengesetzes der RF ist hier zu finden.


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