Montag, 30. August 2010

Die großen Jäger


Wenn man das Führungspersonal der sozialistischen und kommunistischen Parteien betrachtet, so fällt auf, daß sich viele aus dieser Personengruppe als große Jäger inszeniert haben. Die Jagdleidenschaft der führenden DDR-Genossen wie Erich Honecker u.a., deren Jagdausübung oft alles andere als weidgerecht war, ist allgemein bekannt. In der Sowjetunion war es kaum anders. Angefangen hat es mit Lenin, der eigentlich Wladimir Uljanow hieß. Er war kein entrechteter und unterdrückter Bauer oder Proletarier, sondern stammte aus einer wohlhabenden Familie, der umfangreiche Ländereien gehörten. In seiner Jugend studierte er Jura und führte zwischenzeitlich auch das Leben eines müßigen Landbesitzers, denn seine Mutter hatte ihm ein eigenes Gut geschenkt, auf dem er lernen sollte, verantwortlich zu wirtschaften.



Dieser feudale Lebensstil ist Lenin später immer wieder vorgehalten worden - war der spätere Berufsrevolutionär doch stolz auf seine adelige Herkunft. Zudem galt er trotz seiner Begeisterung für den Marxismus nicht als liberaler und fortschrittlicher Landbesitzer (die es auch gab). Im Gegenteil, er bezog fast sein gesamtes Einkommen aus Pachtzahlungen und Zinsen und verklagte 1891 sogar seine kleinbäuerlichen Nachbarn. "Im Privatleben war Lenin der Inbegriff des herzlosen Gutsbesitzers, den seine Regierung eines Tages vernichten sollte" (Orlando Figes: Die Tragödie eines Volkes, S. 156).
(Gewisse Ähnlichkeiten mit dem Vorsitzenden der Linkspartei Klaus Ernst sind sicher rein zufällig: "Wir predigen Wein, aber wir trinken ihn auch." ;-))



Uljanow fröhnte seit seiner Jugend einer weiteren Leidenschaft der Landjunker: der Jagd. Und es sagt viel über das Justizsystem des Zarenreiches, daß er, als er 1897 zu drei Jahren Verbannung verurteilt wurde, seine Jagdflinte nach Sibirien mitnehmen durfte. Nicht nur das, auch seinen Aufenthaltsort durfte er sich aussuchen und wählte das für sein mildes Klima bekannte Dorf Schuschenskoje. Seine Frau, Nadjeshda Krupskaja, durfte ihn begleiten, ebenso eine Kiste mit Büchern. Die einzigen Einschränkungen in der Verbannung des umstürzlerischen Rädelsführers waren die Postzensur und das Verbot, Schuschenskoje zu verlassen.
In dieser komfortablen Situation las Uljanow/Lenin viel und bildete sich theoretisch fort (trotz allem konnte er Kontakt zu seinen Genossen halten), er ging auch regelmäßig auf die Jagd. Und er sollte dieser Passion fast sein gesamtes Leben treu bleiben.



Einer seiner späteren Nachfolger, Leonid Breshnjew (der "zweite Iljitsch"), machte es ähnlich. Bei einem Treffens mit dem jugoslawischen Staatschef Josip Tito posierte er in Western-Manier mit Flinte sowie Revolver und großem Jagdmesser am Gürtel. Und während Lenin noch selbst in die Natur ging, um das Wild aufzustöbern, ließen sich Breshnjew & Co. später die Tiere bis vor die Laufmündung treiben.



Bleibt die Frage: Warum übt die Jagd gerade auf linke Berufspolitiker eine solche Faszination aus? Ist es das feudale, fast schon zaristisch zu nennende Flair, womit man in der angeblich klassenlosen Gesellschaft seine Sonderstellung herausheben kann? Gewissermaßen als Krönung der ohnehin schon privilegierten Nomenklatura?



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"Aufzeichnungen eines Jägers"
11.08.2009: Text des Tages

Samstag, 28. August 2010

28.08.2010: Videos des Tages

Russlandjournal.de bietet nicht nur einen (kostenlosen) podcast-basierten Sprachkurs an, sondern hat jetzt auch zwei Videos bei Youtube hochgeladen, in denen ein paar wichtige Worte und Redewendungen der russischen Sprache erklärt werden. Eine gute Idee, wie ich finde. :-)








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Sprachkurs per Internet und Handy
Lesenswerte Rußland-Blogs

Freitag, 27. August 2010

Schießsport in der ehemaligen UdSSR und Rußland


Dieser Artikel dient als Übersicht für die bereits erschienenen und schon geplanten Beiträge über den Schießsport in der Sowjetunion und ihren Nachfolgestaaten, insbesondere der Rußländischen Föderation.

1. Allgemeines

Zur Lage des Schießsports in Rußland

Luftpistolenschießen wird immer populärer

Exkurs zum sowjetischen Sportsystem

Schießsport im Fernsehen

Luftgewehrschützen in St. Petersburg

Dominante Marken

Deutsche Debatten und die Russen

Gute Ideen

Der Schießstand in Mytischtschi

Rückblende in die 30er

28.05.2011: Video des Tages


2. Personen

Anatolij Bogdanow

Jefim Chajdurow

Allan Erdmann

Ljubow Galkina

Moisej Itkis

Kira Klimowa (Interview)

Machmud Umarow

Lew Weinstein

Larissa Zuranowa (geb. Gurwitsch), Jurij Zuranow, Konstantin Zuranow


3. Aufsätze, Filme

Bogdanow: Das Training des Sportschützen

Umarow: Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen

Weinstein: Schießen mit der Scheibenpistole

Weinstein: Der Sportschütze und der Tonus

Lehrfilm: Die Grundlagen des Pistolenschießens


4. Buchvorstellungen

Jurjew: Sportschießen

Umarow: Die Psyche des Schützen

Weinstein: Sportliches Schießen mit Faustfeuerwaffen


5. Wettkampfberichte

Die Russischen Schießsport-Meisterschaften 2010

Die Schützen-WM 1954

ISSF-Weltmeisterschaft 2010


6. Jagd, sonstiges

"Jagd in Steppe, Wald und Eis"

Die großen Jäger

Vier alte Sportgewehre

Montag, 23. August 2010

Die Brigaden des russischen Heeres


Eine der wesentlichen Neuerungen der seit Ende 2008 in Rußland laufenden Militärreform ist die Umstellung der Landstreitkräfte von der Divisions- auf die Brigadestruktur. Nominell wurde dies bereits vor einem Jahr abgeschlossen, doch waren die neuen Brigaden teilweise recht bunt zusammengewürfelt. Derzeit existieren: 39 Allgemeine Brigaden, 21 Raketen- und Artilleriebrigaden, 7 Brigaden der Truppenluftabwehr, 12 Fernmeldebrigaden und 2 Brigaden für funkelektronischen Kampf. Eine Übersicht über die Verbände und ihre Stationierungsorte ist hier und hier zu finden.
Im folgenden sollen uns die 39 Allgemeinen Brigaden interessieren, die mit ihren Infanterie- und Panzerbataillonen sowie Unterstützungseinheiten den Kern der Landstreitkräfte der Rußländischen Föderation bilden.

Bisher war eine Mot. Schützen- oder Panzerbrigade in der russischen Armee - wie zuvor auch in der Sowjetarmee - meist ein verstärktes Regiment mit 5 bis 6 Bataillonen Kampftruppen (Mot. Schützen und Panzer) plus Unterstützungstruppen. Die Gliederungen waren sehr variantenreich und hingen meist vom konkreten Einsatzraum und dessen Besonderheiten ab. Derartige Brigaden waren für Aufgaben vorgesehen, für die sich der Einsatz einer vollständigen Division nicht lohnte; sie waren immer "selbständig", d.h. in keine Division eingebunden. Letztere bestanden klassischerweise aus Regimentern sowie selbständigen Bataillonen und Kompanien.

Dies hat sich nun geändert, seit es keine Divisionen mehr gibt. In den letzten Jahren wurde, auch bei Übungen, mit den Brigaden experimentiert. Was seit Monaten gerüchteweise bekannt war, wurde im Juli von Generalstabschef Nikolaj Makarow bestätigt:
"[...]

Die russische Armee stellt ab diesem Jahr „leichte Brigaden“ auf. Die neuen militärischen Formationen sollen statt auf Panzern und Schützenpanzern auf Fahrzeugen mit konventionellen Fahrwerken fahren und deshalb mobiler sein.

Das teilte Generalstabschef Nikolai Makarow am Mittwoch in Moskau mit. „Heute trennen wir unsere Brigaden in schwere (Raupenpanzer), mittelschwere (Schützenpanzer) und leichte (gepanzerte Militärfahrzeuge). Leichte Brigaden haben wir bislang nicht. Wir beginnen aber schon in diesem Jahr mit ihrer Aufstellung“, sagte der Generalstabschef.

Darüber hinaus sollen alle Brigaden im Rahmen des bis 2020 angelegten Rüstungsprogramms mit „vereinheitlichten Gleisketten- und Automobilplattformen“ ausgestattet werden. Das solle es ermöglichen, die Brigaden schneller über weite Entfernungen zu verlegen, sagte der General. Diese würden ohne schwere Militärtechnik verlegt, mit der sie schon vor Ort versorgt werden können.

[...]"
Die Landstreitkräfte sollen also "leichter" werden. Wer moderne Konzepte aus den NATO-Staaten, namentlich den USA, kennt, wird Parallelen feststellen (Stichwort: Stryker). Die neuen leichten Brigaden würden dann vermutlich über keine "organischen" Kampfpanzer mehr verfügen - ein Novum in der jüngeren russischen Militärgeschichte.

Dazu paßt auch das neuerwachte Interesse an leichten gepanzerten Radfahrzeugen. Ab 2011 sollen LMV M65 von Iveco in Lizenz produziert werden und die einheimischen Modelle Tigr und Wolk ergänzen. Und das, obwohl der LMV ein schlechteres Preis-Leistungsverhältnis haben soll (siehe dazu auch hier und hier).

Damit ist allerdings noch nichts über die genaue Struktur der Brigaden gesagt. Bisher werden sie wie gehabt von Obristen kommandiert. Obwohl vergleichbare Truppenkörper etwa in der NATO meist kleiner sind (aber nicht immer, siehe etwa Großbritannien [vgl. hier und hier]), haben sie bereits einen Ein-Sterne-General als Chef. Die Diskussion in Rußland geht auch um die Frage, welcher Dienstgrad die Brigaden führen soll. Bleiben sie so groß wie gehabt, dann werden es wohl künftig Generalmajore sein. Werden sie hingegen verkleinert (z.B. auf 3 Bataillone plus Unterstützungskräfte), kann man bei Obristen bleiben.



Bibliographie und weiterführende Links:

RIAN: Russlands Armee beginnt mit Aufstellung leichter Brigaden

N.N.: Shurygin Critique of Military Reform (Part 1)

N.N.: Battalion Travels Lighter in Mobilnost Redux

N.N.: Not Enough Officers in ‘New Type’ Brigades?

A. Chramtschichin: A na wsje pro wsje - wsjego 85 brigad postojannoj bojewoj gotownosti

Je. Kiseljewa / D. Belikow / I. Konowalow: "Tigry" kontschilis




Verwandte Beiträge:
Die Militärbezirke werden abgeschafft
Neue Organisation der russischen Streitkräfte
Aktuelles aus der russischen Waffenindustrie
"Wostok – 2010"
Krieg im Baltikum
Militärstruktur und Rüstungsprojekte in Rußland

Fotos: www.mil.ru, www.9may.ru.

Freitag, 13. August 2010

Neue Organisation der russischen Streitkräfte


Was im Juni noch Gerüchte und Vorabinformationen waren, ist nun offiziell: Die Streitkräfte der Rußländischen Föderation erhalten ab dem 1. Dezember 2010 eine neue schlankere Führungsorganisation. Die bisherigen Militärbezirke aufgelöst und statt dessen vier teilstreitkraftübergreifende Operativ-strategische Kommandos (OSK) gebildet.

Der Chef eines OSK wird sämtliche Truppenteile der Land- und Luftstreitkräfte, der Luftverteidigung und der Marine in seinem Verantwortungsgebiet führen. Lediglich die Strategischen Raketentruppen, die strategischen Bomber und U-Boote sowie die Kosmostruppen werden weiterhin unter dem Kommando des Generalstabs bleiben. Ebenso wie die Luftlandetruppen (WDW), die als Reserve des Oberkommandos gelten. Somit bleibt abzuwarten, wie die WDW künftig organisiert sein werden, da die bisherige Doppelstruktur mit zentral und territorial unterstellten Verbänden (Luftlandedivisionen und Luftsturmbrigaden) vorerst fortgesetzt wird.
Darüberhinaus wird das OSK auch für die paramilitärischen Formationen anderer Ministerien und Behörden operativ verantwortlich sein. Das sind namentlich die Inneren Truppen des MWD, die Zivilschutztruppen und die Grenztruppen. Hier bleibt abzuwarten, wie sich diese Regelung, die einen neuen (und nicht unbedingt sinnvollen) Dualismus zwischen Verteidigungsministerium und der jeweiligen Fachbehörde schafft, auswirken wird.

Das OSK West wird seinen Sitz in St. Petersburg haben und den Moskauer und Leningrader Militärbezirk (MB), die Baltische Flotte und den Besonderen Kaliningrader Bezirk umfassen. Kommandeur: Generaloberst Arkadij Bachin.
Das OSK Süd hat sein Hauptquartier in Rostow am Don. Es wird gebildet aus dem Nordkaukasischen MB, den westlich der Wolga gelegenen Teilen des Wolga-Ural-MB, der Schwarzmeerflotte und der Kaspischen Flotille gebildet. Kommandeur: Generalleutnant Alexander Galkin.
Das OSK Mitte mit Stab in Jekaterinburg wird die übrigen Teile des bisherigen Wolga-Ural-Militärbezirks sowie die westlichen Teile des Sibirischen MB bis zum Baikalsee umfassen. Kommandeur: Generalleutnant Wladimir Tschirkin.
Das vierte OSK Ost (Sitz: Chabarowsk) besteht aus den östlichen Teilen des Sibirischen MB, dem Fernöstlichen MB, der Pazifikflotte und dem Besonderen Gebiet Kamtschatka. Kommandeur: Admiral Konstantin Sidenko.
Das war nur eine Kurzfassung, ausführlicher (inkl. Karten) habe ich mich damit schon vor zwei Monaten befaßt.

Die hinter den OSK stehende Idee ist zwar nicht neu, dergleichen war von sowjetischen und russischen Offizieren schon vor Jahrzehnten angedacht worden. Jetzt wird dieser Ansatz jedoch endlich durchgreifend umgesetzt, was im Ergebnis zu einem Bedeutungsverlust für die zentralen Kommandobehörden in Moskau führen wird.

Ilja Kramnik schreibt dazu:
"[...]

Dem bisherigen System der Militärbezirke, das seit fast 150 Jahren bestand, hatte auf anderen Prinzipien beruht. Dem Befehlshaber eines Militärbezirks waren die auf dem entsprechenden Territorium stationierten Landtruppen unterstellt. Seine Vollmachten erstreckten sich aber nicht auf andere Teilstreitkräfte außer der Frontflieger, die manchmal als Test den Befehlshabern der Militärbezirke unterstellt wurden.

Die Kommandostrukturen (außer den Seestreitkräften) wurden nur während der Kriegshandlungen auf operativer Ebene vereinigt, wenn den Frontbefehlshabern alle an der Frontlinie operierenden Kräfte unabhängig von der Teilstreitkraft unterstellt waren, außer es handelte sich um wenige Sondereinsatztruppen und die Fernfliegerkräfte, die unmittelbar dem Hauptquartier des Obersten Befehlshabers unterstellt waren. Das Zusammenwirken mit der Kriegsmarine erfolgte durch die operative Unterstellung der Flottenkräfte dem operativen Kommando der an einer Seeküste operierenden Front (oder einer in der Nähe von großen Strömen bzw. Gewässern, wo Kriegsflottillen bestanden, operierenden Fronten) oder durch die Koordinierung von Aktivitäten durch übergeordnete Stellen.

In der Nachkriegszeit wurde die Gründung von vereinigten Stäben angesichts der erweiterten Möglichkeiten der Luftwaffe sowie der Marine im Kampf gegen auf dem Land stationierte Kräfte sowie dank dem Entstehen von neuen Verwaltungssystemen, die die Koordinierung der Aktivitäten verschiedener Teilstreitkräfte ermöglichten, ziemlich üblich im Westen. Jetzt wurde dieses System auch in Russland als zweckmäßig anerkannt.

Die geographische Aufteilung der neuen Militärbezirke ist durch die wichtigsten Richtungen der möglichen Kampfhandlungen der russischen Streitkräfte bedingt. Dem Westlichen Militärbezirk gehören Vereinigungen an, die traditionell für die Aktivitäten auf dem europäischen Kriegsschauplatz und in nahe gelegenen Gewässern bestimmt waren. Der Südliche Militärbezirk ist für den Kaukasus, das Schwarze und das Kaspische sowie für das Mittelmeer und den westlichen Teil des Indischen Ozeans zuständig.

In den Aufgabenbereich des Militärbezirks Zentrum gehört außerhalb Russlands ganz Zentralasien von Kasachstan bis zum Hindukusch. Der Östliche Militärbezirk verteidigt die östlichen Grenzen Russlands und operiert im Stillen Ozean und im Asiatisch-Pazifischen Raum.

Die neue Verwaltungsstruktur soll bis zum 1. Dezember dieses Jahres stehen. Einzelne Elemente wurden beim jüngsten Manöver „Wostok 2010" getestet. Der Aufbau von Kommandos ist die Abschlussphase des Übergangs der Streitkräfte zum dreistufigen Verwaltungssystem: vereinigtes strategisches Kommando - operatives Kommando - Brigade. In der ersten Phase wurden bereits im Rahmen der alten Verwaltungsstruktur neue Brigaden gebildet. Dann wurden die Armeestäbe in operative Kommandostäbe umgewandelt. Jetzt sind die Stäbe der höchsten Ebene an der Reihe.

Die neuen Kommandos werden die Truppen nicht nur in Russland, sondern auch außerhalb des Landes befehligen. Jedes Kommando hat seinen eigenen Zuständigkeitsbereich, und in diesen Grenzen wird der Stab des Vereinigten strategischen Kommandos für alle Teilstreitkräfte verantwortlich sein.

Eine unabhängige Kommandostruktur werden nur die strategischen Raketentruppen behalten, die ausschließlich dem Obersten Befehlshaber unterstellt sind.

Gleichzeitig mit dem Aufbau der vereinigten Kommandos wurde in der russischen Armee eine andere Reform vollzogen: Eine einheitliche Struktur der materiellen und technischen Versorgung ist gebildet worden. In ihr werden die Rückwärtigen und die Rüstungsdienste zusammengelegt, die sowohl für die Versorgung der Truppen mit Brennstoff, Lebensmitteln und anderem Nachschub als auch für die Zustellung von Waffen und Munition zuständig sein wird. Zuvor waren für diese Aufgaben verschiedene Dienste verantwortlich gewesen. Jetzt wird sich der für Rüstung zuständige Vizeverteidigungsminister ausschließlich mit der Entwicklung, Einführung und Produktion von neuen Waffen- und Rüstungsarten befassen.

Eine Reform des Verwaltungssystems der Armee, insbesondere der Aufbau von teilstreitkräfteübergreifenden Kommandos statt bisheriger Militärbezirke war schon längst nötig, aber der Mechanismus zu ihrer Umsetzung ruft viele Fragen hervor. Die erste und wichtigste lautet: Sind russische Offiziere, vor allem Generäle, wirklich imstande, diese Vereinigungen mit unterschiedlichen Teilstreitkräften zu managen?

Die zweite Frage: Können diese Vereinigungen auf die vielfältigen Gefahren operativ reagieren, die in ihren großen Zuständigkeitsgebieten auf dem Landesgebiet und außerhalb des Landes entstehen können? Vor allem gilt das für die Flottenführung, wenn sich russische Schiffe in entlegenen Gebieten des Kriegsschauplatzes (im Indischen Ozean, im Mittelmeer und anderen strategisch wichtigen Gebieten) befinden.

Damit die Verwaltung effektiv arbeitet, soll die Rolle der Marineoffiziere in den teilstreitkräfteübergreifenden Kommandos rapide zunehmen, denn sonst würde sich die Kriegsflotte aus der selbständigen Teilstreitkraft de facto in eine „Marineabteilung der Armee" verwandeln, so dass sie den Großteil der Aufgaben nicht erfüllen könnte.

Fragezeichen entstehen auch hinter der Versorgung der Truppen und Stäbe mit modernen Führungs- und Kommunikationsanlagen. Ohne entsprechende technische Möglichkeiten wird die Umstrukturierung der Truppenvereinigungen so gut wie erfolglos bleiben. Und was noch schlimmer ist: die Lenkbarkeit der Truppen, die ohnehin nicht ideal ist, wird noch schlechter.

Man muss feststellen, dass sowohl die militärische als auch die zivile Führung des Verteidigungsministeriums den Mangel an modernen Führungs- und Kommunikationssystemen als eines der größten Probleme der Armee betrachtet. Staatschef Medwedew verfügte vor kurzem, die Stäbe mit neusten Führungs- und Kommunikationsmitteln in den kommenden zwei oder drei Jahren auszustatten.

Die Probleme bei der Ausbildung der Offiziere und deren Fähigkeit, die teilstreitkräfteübergreifenden Vereinigungen zu führen, können nicht über Nacht gelöst werden. Es werden noch Jahre vergehen, bis die neue Verwaltungsstruktur funktioniert. Diese Jahre werden die schwierigsten für die russischen Streitkräfte sein.

Auch die Probleme bei der Ausrüstung der Armee lassen sich nur schwer lösen. Die Waffen, die vor 20 bzw. 30 Jahren hergestellt wurden und schon veraltet sind, sind auch ein Hindernis bei der Entwicklung eines effektiven Kampfmechanismus. In diesem Sinne können die Hoffnungen nur mit dem neuen staatlichen Rüstungsprogramm von 2011 bis 2020 verbunden werden, falls es erfolgreicher als die vorigen Programme erfüllt wird.

[...]"
Nachtrag: Am Mittwoch wurde auf einer Pressekonferenz mitgeteilt, daß die Heeresflieger - auf dem Umweg über die OSKs - wieder aus dem Kommando der Luftstreitkräfte ausscheiden werden, dem sie seit 2002 unterstehen.



Bibliographie und weiterführende Links:

I. Kramnik: Medwedew verpasst Armee neue Kommandostruktur

N.N.: Na tschetyrjech wetrach

N.N.: General Staff Chief Makarov’s Press Conference

N.N.: OSK Commanders Will Directly Control Navy and Air Forces

N.N.: Interim OSK Commanders Named

N.N.: Frontal, Army Aviation to OSK Commanders

A. Chramtschichin: Tschetyrje wektora rossijskoj oboronoj



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Spetsnaz: Neue Serie über russische Spezialeinheiten
Sicherheitspolitische Debatten in der RF

Fotos: www.mil.ru.

Montag, 9. August 2010

Feuer und Rauch ...


... beeinträchtigen seit Wochen das Leben in Teilen Westrußlands, der Ukraine und Kasachstans. Die Ursache sind gewaltige Wald- und Flächenbrände, die man sonst eher aus Südeuropa und Australien kennt. Am Sonntag waren es 554 Brände auf einer Fläche von insgesamt mehr als 190.000 Hektar. Unter Pozhar.yandex.ru sind aktuelle Karten der Katastrophenlage einsehbar. Mehrere Dörfer sind bisher ein Raub der Flammen geworden und es gab etwa 50 Tote. Katastrophenschutz und Armee kämpfen gegen die Flammen, ferner sind Unterstützungskräfte aus dem Ausland im Einsatz. Die Auswirkungen der Feuer in Gestalt von Rauch und Smog sind im Ballungsraum Moskau mit seinen etwa 15 Millionen Einwohnern besonders stark zu spüren. Das Moskauer Umland ist ein Katastrophenschwerpunkt.

Es sind jedoch nicht nur klassische Waldbrände, die dort wüten. Besonders kritisch - gerade im Fall Moskaus - sind die Brände in Torfgebieten, die vor Jahrzehnten trockengelegt wurden, um Torf als Brennstoff abbauen zu können. Nun brennt der Torf in großen Ausdehnungen - und er ist nur schwer zu löschen. Dazu müssen "Wasserinjektionen" vorgenommen werden, d.h. am Rand des brennenden Torfabschnittes werden Rohre in die Erde gerammt, durch die danach Wasser gepumpt wird. Mit konventionellen Löschfahrzeugen oder -flugzeugen ist bei solchen Bränden nur wenig auszurichten. Deshalb sind u.a. Pioniereinheiten der Armee im Einsatz, die kilometerlange Rohrleitungen verlegen.

Das Katastrophenschutzministerium (MTschS) tut sein möglichstes, aber eine Entspannung wird es wohl erst nach einer Änderung der Wetterlage eintreten, wenn die seit Wochen andauernde Hitzewelle abflaut. Derweil geht die Suche nach Ursachen weiter. Neben natürlichen Gründen sind es zum Teil auch menschengemachte Feuer, die durch fahrlässiges Verhalten entstehen. Außerdem wird über eine Flutung der Torfgebiete diskutiert. Selbige würden somit wieder zu Sümpfen werden. Doch ausgegoren ist diese Idee noch nicht. Und dann gibt es noch die üblichen globalen Schuldzuweisungen und Verschwörungstheorien, als ob Wladimir Putin persönlich die Brände gelegt hätte; bisweilen in Verbindung mit der Bemerkung, daß früher (also zu Sowjetzeiten) alles besser gewesen sei. Doch dergleichen muß man wohl kaum ernsthaft erörtern; ironisch ist es nur, wenn es von sog. Liberalen geäußert wird.



Nachfolgend noch einige weiterführende Links:

Russia Burning: not Apocalypse, but its Prelude

The Great Russian Heat Wave of July 2010

Torfbrände in Russland: Der politische Wille fehlt

Krisenmanagement: Putin im Qualm, Medwedew im Kreml

Lebensmotto in Russland: Nach mir der Waldbrand

The Tale of How Aleksandr Pochkov Quarreled with Vladimir Vladimirovich



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Warum immer auf die Eisenbahn?

Fotos: RIA Nowosti.