Montag, 30. Dezember 2013

"Das unbesiegte und unbesiegbare Wolgograd"


Diese Formulierung enthielt das Kondolenztelegramm, welches der serbische Präsident gestern - nach dem ersten Anschlag in Wolgograd - an seinen rußländischen Amtskollegen sandte. Das ist nicht nur Zuspruch, Aufmunterung und historische Remineszenz, es zeigt auch die Stimmung in Stadt und Land nach den beiden Terrorattacken.

Die Anschläge

Der erste Anschlag ereignete sich am Sonntagmittag um 12.45 Uhr Ortszeit am Haupteingang des Wolgograder Hauptbahnhofs. Wie in vielen öffentlichen Gebäuden in Rußland, so befanden sich auch dort Metalldetektoren und Durchleuchtungsgeräte für das Gepäck. Jeder, der den Bahnhof betreten wollte, mußte diese Schleuse passieren. Der Attentäter wollte die Kontrolle offenbar umgehen und sich vorbeidrängeln, hinein in das Innere des Bahnhofsgebäudes. Dabei stellte sich ihm ein 29-jähriger Polizeibeamter in den Weg, so daß sich der Attentäter sofort auf den Weg in das ihm verheißene Paradies machen mußte. Leider hat er dabei viele Menschen mitgenommen: 17 Tote und 45 Verletzte.

Vielleicht muß man dabei sogar von Glück sprechen, denn eine Explosion in einem der beiden Hauptsäle das Bahnhofs wäre noch weitaus verheerender gewesen. Zum Zeitpunkt des Anschlags befanden sich dort mehrere hundert Menschen, die u.a. auf drei Fernzüge warteten. Wegen starken Nebels war der Wolgograder Flughafen während der letzten Tage immer wieder geschlossen worden. Deshalb hatten sich viele Menschen, die in die bevorstehenden Neujahrsferien reisen wollten, für eine Fahrt mit der Eisenbahn entschieden. Somit war der Bahnhof überdurchschnittlich gut besucht. Mitten im gefüllten Wartesaal hätten die 10 kg TNT-Äquivalent der am Körper getragenen Bombe höchstwahrscheinlich erheblich mehr Opfer gefordert.

(Es ist übrigens nicht das erste Mal, daß ein Selbtmordattentäter seine Sprengladung vor einer Metalldetektorkontrolle gezündet hat. Solche sinnvollen Einrichtungen führen naturgemäß manchmal zu Stauungen, so daß der Terrorist doch noch eine größere Anzahl anderer Menschen mit in den Tod nehmen kann. Hier werden sich die Sicherheitsexperten Wege überlegen müssen, die Kontrollstellen zu entwirren und eine eventuelle Explosion auf einen möglichst kleinen Raum zu begrenzen.)

Daß es nicht nur den einen Selbstmörder gab, war schon gestern Abend zu erahnen, nachdem im demolierten Bahnhofsgebäude eine nicht explodierte Splitterhandgranate gefunden worden war. Warum der zweite Attentäter bis zum heutigen Morgen gewartet und nicht schon gestern zugeschlagen hat, um ebenfalls in sein Paradies zu reisen, wird wohl nur Allah wissen.

Heute morgen um 8.25 Uhr, mitten im Berufsverkehr am (vor-)letzten Arbeitstag des Jahres, hat er jedenfalls 4 kg TNT-Äquivalent in einem vollbesetzten Oberleitungsbus der Linie 15 in der Katschinzew-Straße zur Explosion gebracht. Dadurch starben 14 Menschen, 28 Verletzte wurden in die Wolgograder Krankenhäuser verbracht. Nahe der Route des Trolleybusses befindet sich übrigens eines der Spitäler, in dem viele der gestern verletzten Menschen behandelt werden. Ob der Terrorist eigentlich dorthin wollte? 

Das war übrigens der dritte Bombenanschlag, der sich binnen weniger Monate in Wolgograd ereignet hat. Bereits am 21. Oktober hatte sich dort eine Attentäterin in einem Bus in die Luft gesprengt und sieben Menschen mit in den Tod gerissen.

Die Reaktionen

Gestern nachmittag liefen dann die Anti-Terror-Pläne ab wie ein präzises Uhrwerk. Die Verletzten wurden binnen kurzer Zeit in die Krankenhäuser gebracht, das Katastrophenschutzministerium schickte von seinem Zentralen Rettungsdienst in Moskau medizinischen Personal, Psychologen und Ausrüstung per Flugzeug nach Wolgograd, um die örtlichen Hilfskräfte, insbesondere in den Kliniken, zu unterstützen. Einige der transportfähigen Schwerverletzten (dem Anschein nach mit Brandwunden) wurden zwischenzeitlich in Spezialkliniken nach Moskau und Petersburg geflogen. Im Laufe des heutigen Tages, nach dem zweiten Attentat, wurden ein Feldlazarett und weiteres Personal und Material in die Stadt an der Wolga eingeflogen, um die Behandlungskapazitäten zu erweitern.

Für die Verletzten und die Hinterbliebenen der Toten haben Regional- und Föderationsregierung Hilfsgelder bereitgestellt. Unterdessen sind auch die Aufräumarbeiten vorangeschritten. Der Bahnhof, auf den tagtäglich tausende Menschen angewiesen sind, war heute schon wieder benutzbar. (Obwohl die letzte umfangreiche Rekonstruktion des Baudenkmals erst wenige Jahre zurückliegt, wird die nächste im Frühjahr beginnen müssen.) Die Buslinie, welcher der heutige Anschlag galt, wird ab morgen früh wieder nach Fahrplan verkehren. Die über eine Million Einwohner will schließlich transportiert werden.

Besonders bemerkenswert war und ist die Reaktion der Bürger Wolgograds. Obwohl deutsche Zeitungen - die Toten sind noch nicht unter der Erde! - ätzten, die Rußländische Föderation sei ein verfallener Koloß auf tönernen Füßen und die Anschläge würden Präsident Putin lediglich als Vorwand dienen, zeigte sich in der betroffenen Stadt ein gänzlich anderes Bild, was nicht zum Mythos von den egoistischen Russen und ihrer zerfallenden Gesellschaft passen will.

Bereits am Sonntag waren spontan hunderte Bürger zum Hauptbahnhof geeilt und halfen bei der Bergung der Verletzten. Taxifahrer brachten Familienangehörige kostenlos in die Krankenhäuser. Heute haben sich über tausend Menschen in medizinischen Einrichtungen eingefunden, um Blut zu spenden. Dabei kam es zu mehrstündigen Wartezeiten. Andere Freiwillige helfen bei der Betreuung der Betroffenen. Nicht zu vergessen die Blumen, Kerzen und das Kinderspielzeug, die die Menschen an den Orten der Attentate niederlegen.
Gäbe es das alles, wenn die rußländische Gesellschaft tatsächlich das wäre, was deutsche Kommentatoren ihr andichten: atomisiert, von der finsteren Putin-Diktaur unterdrückt und kurz vor dem Auseinanderfallen?


Die Sicherheitsbehörden

Gestern lag das Augenmerk noch zuvörderst auf der Hilfe für die Verletzten und auf dem Beginn der Ermittlungen, insbesondere der Spurensicherung. Heute haben jedoch nicht nur die Kriminaltechniker und Ermittler noch mehr zu tun bekommen, es müssen auch verstärkte Maßnahmen für die Sicherheit der Bürger getroffen werden. Nach Wolgograd wurde zusätzliches Personal von Polizei und Bereitschaftspolizei verlegt. Beim Bestreifen von Straßen, Bussen etc. werden sie von Freiwilligen aus den örtlichen Kosakenverbänden unterstützt.

Um die Wolgograder Sicherheitskräfte zu unterstützen, ist heute Alexander Bortnikow, Chef des Nationalen Antiterrorkomitees und Direktor des Föderalen Sicherheitsdienstes, in die Stadt gereist - wie vor ihm bereits die stellvertretende Premierministerin Olga Golodez und die Gesundheitsministerin Veronika Skworzowa. Am heutigen Abend ist in der Stadt eine erste große Fahndungswelle angelaufen. Von den Sicherheitskräften wurden mehrere hundert verdächtige Personen kontrolliert und davon etwa zwei Dutzend festgenommen, zumeist wegen unerlaubten Führens von Schußwaffen und Verstößen gegen das Aufenthaltsrecht.

Doch solche Großfahndungen werden wohl nur bedingt bei der Ergreifung der Hintermänner helfen. Besser geeignet sind Spezialoperationen, bei denen gezielt gegen bestimmte Terrorverdächtige vorgegangen wird. Sie finden im Nordkaukasus regelmäßig statt, wenn die Behörden Wind von einer Bombenwerkstatt oder einem Waffenversteck bekommen. So gab es auch heute wieder Zugriffe an drei verschiedenen Orten. Die Resultate konnte man im Fernsehen bewundern: Sprengstoff, 3 leichte Granatwerfer im Kaliber 37 mm und ein paar der dazugehörenden Granaten. Kein besonders beeindruckendes Arsenal, wenn man bedenkt, womit die Terroristen der 2000er Jahre ins Gefecht gezogen sind. Aber immer noch genug, um unter den Einwohner einer Großstadt Schaden anzurichten.

Daß man die Hintermänner früher oder später finden und zur Strecke bringen wird, daran besteht bei mir kein Zweifel. Die Verantwortlichen fast aller Anschläge der Vergangenheit wurden entweder festgenommen (was bei den Märtyrerkandidaten die Ausnahme ist) oder aber im Feuergefecht getötet. Das ist nur eine Frage der Zeit. Die Islamisten werden offenbar nervös. Heute haben in Dagestan zwei Terroristen anläßlich einer allgemeinen Verkehrskontrolle aus heiterem Himmel das Feuer auf die Polizeibeamten eröffnet. Der Fahndungsdruck, unter dem sie stehen, muß also sehr hoch sein, denn sie haben den anschließenden Schußwechsel nicht überlebt.

Die Täter

Die beiden jüngsten Attentate zeichnen sich dadurch aus, daß die beiden Täter männlichen Geschlechts waren. Bisher waren in diesem Kontext fast ausschließlich Frauen, die sog. "schwarzen Witwen", aufgefallen. Anscheinend ist der Vorrat an solchen Frauen erschöpft. Der Täter vom Hauptbahnhof konnte mittlerweile als Pawel Petschenkin identifziert werden. Er war wohl ethnischer Russe aus der Republik Mari-El, der sich 2010 nach Dagestan begeben und dort einer Terrorbande angeschlossen haben soll. Seine Eltern hatten ihn versucht, ihn zurückzuholen, doch ohne Erfolg.Die Ermittler gehen davon aus, daß beide Anschläge zusammenhängen.

Das ist insofern bemerkenswert, als auch in den Wolgograder Anschlag vom Oktober ein Russe, der keine persönlichen Bindungen an die Kaukasusregion hatte, involviert war. Ihm erschien der Islam vor allem wegen seines Frauenbildes (Schleier, Unterordnung usw.), was sich doch stark von dem im Rest der rußländischen Gesellschaft unterscheidet, interessant. Und, einmal in diese Subkultur eingetaucht, kam dann eins zum anderen. Offenbar hat Rußland langsam auch ein Problem mit "home grown terrorism" in Gestalt von Personen, denen man das eigentlich nicht zutrauen würde, die der Islamismus in seiner radikalen Gestalt jedoch aus persönlichen Gründen in seinen Bann zieht.

Im übrigen sei auf diesen lesenswerten Text von M. Galeotti verwiesen: "Volgograd’s second bombing demonstrates terrorists’ strengths and weaknesses".

Der politische Hintergrund

Als ich gestern die ersten Bilder aus Wolgograd sah, mußte ich spontan denken: Was dort abläuft, hast du doch schon einmal gelesen. Vor zwei oder drei Jahren hatte die Jamestown Foundation, eines der Zentren der Russophobie in den USA, eine Konferenz in der georgischen Hauptstadt Tiflis durchgeführt, auf der darüber diskutiert wurde, ob man Rußland nicht am besten dadurch schaden könnte, indem man kurz vor Beginn der Olympischen Winterspiele in Sotschi ein paar Terroranschläge inszeniert. Die Stiftung hatte darüber seinerzeit in ihrem E-Mail-Rundbrief auch ganz offen berichtet. Und nun ist genau das eingetreten - ein komischer Zufall ...

Das offensichtliche Ziel der Anschläge ist das Provozieren von Auseinandersetzungen zwischen den Nationalitäten, die in der Rußländischen Föderation leben. Die russische Mehrheitsbevölkerung soll zu Ausschreitungen gegen Muslime, insbesondere aus dem Nordkaukasus, angestachelt werden. Dies würden die Islamisten dann in den ausländischen Medien wiederum als Xenophobie der bösen Russen, gegen die man sich mit weiteren Terroranschlägen "wehren" müsse. Gegen diese Absicht stehen allerdings die religiösen Führer Rußlands. Der orthodoxe Metropolit von Wolgograd ruft dazu auf, nicht nach Feinden zu suchen, sondern sich im herzlichen Gebet zu vereinen. Und der Mufti von Ufa betont, solche Selbstmordattentate könnten mit keiner religiösen Auffassung begründet werden. Hoffentlich bleibt es in dieser Hinsicht ruhig und Nawalnyj und seine "demokratischen" Konsorten gießen nicht weiteres Öl ins Feuer, indem sie gegen Kaukasier hetzen.

Bemerkenswert auch die extrem zurückhaltende Reaktion der deutschen Politiker und Journalisten. Was in Wolgograd geschehen ist, paßt offenbar nicht recht in die Strategie ihrer rußlandfeindlichen Agitation. Deshalb werden die Terroranschläge demonstrativ wenig behandelt, während das Schicksal von Michael Schuhmacher und andere Themen hervorgehoben werden. Für unsere Medien sind die Russen immer die Bösen und alle Ereignisse, die sich nicht in diesem Sinne ausschlachten lassen, werden entweder kleingeredet oder vollständig ignoriert. Die Aufmerksamkeit und Anteilnahme wäre um ein Vielfaches größer, hätte es sich bei den Opfern um Franzosen, Briten oder Amerikaner gehandelt.

Aus aller Welt treffen zwar Beileidsbekundungen in Moskau ein, doch bei manchen bestehen erhebliche Zweifel an der Aufrichtigkeit. Islamistische Terroristen aus Rußland werden doch vielerorts (leider auch in Deutschland) hofiert, als romantische Freiheitskämpfer verklärt und mit dem schützenden Status eines "politischen Flüchtlings" versehen. Und bestimmte US-Senatoren haben bereits mehrfach gefordert, man solle sie doch mit Waffen versorgen. (So, wie die islamistischen Kämpfer in Syrien.)

Und der ohnehin - wie 1980 - geplante Boykott der olympischen Spiele ließe sich mit Sicherheitsbedenken viel einfacher begründen. (Überhaupt war es doch naiv von den Russen, zu glauben, der "Westen" würde ihnen eine Olympiade zugestehen. 1980 war man in der "freien Welt" angeblich um das Schicksal des afghanischen Volkes besorgt. Nachdem 21 Jahre später dieselben Staaten dann Afghanistan besetzt hatten, forderte niemand einen Ausschluß dieser Staaten von den Spielen. Die letzten Winterspiele fanden durchweg in Ländern statt, die sich am Afghanistankrieg beteiligt und Besatzungstruppen gestellt hatten, nämlich in den USA [2002], Italien [2006] und Kanada [2010]. Von ernstzunehmenden Boykottaufrufen war in diesen Fällen nichts zu vernehmen. Manche dürfen eben alles ...)

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Sonntag, 22. Dezember 2013

Deutscher Minister empfängt Wirtschaftskriminellen


Ein Bild, das um die Welt ging: Der langjährige Bundesminister Hans-Dietrich Genscher empfängt den begnadigten Wirtschaftsverbrecher Michail Chodorkowskij auf dem Flughafen Berlin-Schönefeld herzlich, wie einen lange vermißten Freund. Die deutschen Hauptstrommedien triumphieren und jubeln Chodorkowskij zu. Er sei Putins Erzfeind, ein Regierungskritiker und politischer Häftling, der wichtigste Gegner des Kremls usw. Von seiner Biographie, seinen dunklen Geschäften und Gesetzesverletzungen hingegen kein Wort. Kein Wort über die Ermordung des Bürgermeisters Wladimir Petuchow im Jahre 1998, die wie viele andere Delikte auch auf das Konto des sogenannten "Dissidenten" gehen dürfte. Dabei sind wir Deutschen doch angeblich so an "Menschenrechten" und anderen "Werten" interessiert. Doch für die Hinterbliebenen Petuchows setzen sich weder Genscher noch die deutsche Presse ein. Auch keine Rede davon, daß z.B. der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sich mehrfach geweigert hat, die Mär von der politischen Justiz im Falle Chodorkowskijs zu stützen.

Dabei war der Begnadigung ein Verwirrspiel vorausgegangen, das zeigt, daß die große Schar von Chodorkowskijs Anwälten und PR-Agenten nichts von dem Gnadengesuch ihres Chefs wußte. Nun hat Chodorkowskij in atemberaubender Geschwindigkeit binnen weniger Stunden eine Aufenthaltserlaubnis für Deutschland und den Schengenraum bekommen - andere Bürger Rußlands müssen selbst für ein kurzzeitiges Touristenvisum eine lange und beschwerliche Prozedur auf deutschen Konsulaten durchlaufen. Das dürfte vielen Russen ebenso zu denken geben wie der heiße Empfang, den er hier gefunden hat. Dabei ist er begnadigt worden, weil seine restliche Haftdauer nur noch wenige Monate betrug und seine alte Mutter ernsthaft krank ist (und sich in Deutschland behandeln läßt).

Ob sich Personen, die hier in Deutschland Steuern hinterzogen haben, auch auf ein derartiges Wohlwollen von Politik und Presse stützen können? Oder werden sie nicht eher wie Uli Hoeneß oder Klaus Zumwinkel von der Journaille gegrillt. Dabei könnte man doch auch sie als Widerstandskämpfer gegen den Unsinn des komplizierten Steuerrechts der BRD, verbunden mit einem überbordenden Sozialstaat, sehen. Tut hierzulande aber wohl keiner. Wir lieben Wirtschaftskriminelle nur dann, wenn sie ihre Straftaten in Rußland begehen und so diesen uns verhaßten Staat und seine Bürger schädigen. Oder dürfen bei uns auch Manager, die in den USA verurteilt worden sind, auf eine freundliche Aufnahme inklusive Ministerempfang rechnen?

Bleibt abzuwarten, was mit Chodorkowskij weiter geschehen wird. Eine weitere Karriere in Rußland selbst erscheint nur als Marionette seiner ausländischen Gönner vorstellbar, denn einen Großteil seines erheblichen Privatvermögens hat er verloren. Vielleicht ist die juristische Seite noch gar nicht abgeschlossen, denn es gibt auch außerhalb Rußlands Menschen und Unternehmen, die von ihm geschädigt worden waren. In mehreren Staaten wurde gegen ihn ermittelt und vielleicht klicken demnächst ja in den USA oder der Schweiz bei "M.B.K." die Handschellen. Wie wird unsere Presse dann auf die Festnahme ihres Helden reagieren?

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Montag, 9. Dezember 2013

Kurz zur Lage in der Ukraine

Wie nicht anders zu erwarten, wird die derzeitige Situation in der Ukraine in den hiesigen Medien sehr einseitig dargestellt. Die politischen und ökonomischen Hintergründe werden kaum oder gar nicht erörtert, statt dessen wird - fälschlicherweise - das künstliche Konstrukt "EU" mit "Europa" als geographisch-kulturellem Raum gleichgesetzt. Und Vitali Klitschko wird natürlich wie ein strahlender Held umjubelt.

Als Therapie gegen diese Einseitigkeiten sei die Lektüre von vier Artikeln empfohlen, die von langjährigen intimen Kennern der politischen Szenerie in Kiew verfaßt wurden und sich - im Gegensatz zum Mainstream - um Objektivität bemühen:

M. Schünemann: Sturm vor dem Gipfel von Vilnius

A. Ballin: Kiews schmerzhafter Ost-West-Spagat

W. Fesenko: Die Opposition in Kiew hat die Lage überschätzt

M. Schünemann: Noch immer keine »Lex Timoschenko«

Freitag, 22. November 2013

Kurzmeldung: Kein Greenpeace-Sieg

Auf den deutschen Fernsehkanälen läßt sich Greenpeace gerade feiern, als hätten sie heute vor dem Internationalen Seegerichtshof einen Sieg errungen. Doch dem ist nicht so. Das Gericht hat vorläufige Maßnahmen angeordnet und nicht etwa Greenpeace Recht gegeben oder die Organisation gar "freigesprochen". Und dem wichtigsten Punkt des niederländischen Antrags, nämlich Rußland die weitere Strafverfolgung zu untersagen, ist der ISGH gerade nicht gefolgt (hätte er auch nicht).

Die Gerichtsverfahren gegen die Bohrinselstürmer in Rußland werden also ihren Lauf nehmen. Ebenso soll demnächst, so der Wille des Gerichtshofes, ein Arbitragegericht eingesetzt werden, um den Streit zwischen Den Haag und Moskau zu klären. Die juristische Aufarbeitung des Falles "Arctic Sunrise" entert "Priraslomnaja" ist somit noch lange nicht beendet.

Daß sich der ISGH seiner Sache nicht ganz sicher war und ist, läßt sich anhand eines Indikators ermessen: der exorbitanten Höhe der Kaution, welche die Niederlande aufbringen sollen. Das Gericht hatte bis dato in ähnlich gelagerten Fällen Kautionen im sechsstelligen Eurobereich festgelegt, in zwei oder drei Fällen auch zwischen 1 und 2 Mio. €. Doch für die "Arctic Sunrise", einen fast vierzig Jahre alten Eisbrecher, der - nach den Angaben von Greenpeace - kurz vor dem Auseinanderfallen und "Sinken" steht, sind die heute festgesetzten 3,6 Millionen Euro ein fast schon maßlos hoher Betrag.
Offenkundig hat selbst der ISGH kein allzu großes Vertrauen in die künftige Rechtstreue von Greenpeace.

Drittens: Das ZDF verbreitet gerade in seinem Videotext die Falschmeldung, Moskau habe bereits erklärt, die Anordnung des Gerichts (es ist entgegen anderslautender Medienberichte kein Urteil) nicht umsetzen zu wollen.
Dieser Behauptung liegt offensichtlich eine fehlerhafte Übersetzung zu Grunde, denn davon ist in der ersten Erklärung des Außenministeriums gerade keine Rede. Dort heißt es vielmehr, die Rußländische Föderation werde die Gerichtsentscheidung "vorbehaltlos studieren" und eine Antwort darauf formulieren. Also nichts mit dem unterstellten Totalboykott.

Ansonsten gibt es zu der Entscheidung und den Einzelvoten von immerhin sieben Richtern noch viel zu sagen. Mehr dazu in den nächsten Tagen. (Vielleicht finden unsere vielbeschäftigten Journalisten bis dahin die Zeit, die Texte des Gerichts auch wirklich zu lesen und nicht nur Pressemitteilungen falsch zu übersetzen.)

Nachtrag (23.11., 14.15 Uhr): Selbst jetzt unterläßt es die deutsche Presse nicht, ihre Leser zu belügen, in der offenkundigen Absicht, sie zugunsten von Greenpeace zu manipulieren und weiter gegen Rußland aufzuhetzen. So behauptet die Mitteldeutsche Zeitung in ihrer heutigen Ausgabe auf S. 2:
"Russland hatte im September die 30 Aktivisten in der Barentssee aufgebracht, als sie sich einer russischen Bohrinsel genähert hatten."
Das ist offensichtlich falsch, denn mehrere der sog. "Aktivisten" waren an Bord der Bohrplattform, haben diese also geentert. Die übrigen befanden sich unmittelbar davor. Von einem Aufbringen bei bloßer Annäherung kann mithin keine Rede sein. Lügenbande!

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Dienstag, 19. November 2013

Der "Arctic Sunrise"-Fall vor dem Internationalen Seegerichtshof

Blick in den Sitzungssal des Seegerichtshofes am 06.11.2013 (Foto: ISGH).

In Den Haag sah man sich offenbar durch die causa Arctic Sunrise unter Druck gesetzt, als Flaggenstaat des Greenpeaceschiffes reagieren zu müssen. Außerdem bot sich so die seltene Gelegenheit, gegen das wegen seiner Innenpolitik verhaßte Rußland, das die alten europäischen Werte verteidigt, vorzugehen. Also zog man mit großem Getöse vor den Internationalen Seegerichtshof (ISGH) in Hamburg. Dort fand am 6. November 2013 eine Anhörung statt. Die niederländische Klage dürfte jedoch kaum Aussicht auf Erfolg haben.

1. Fehlende Zuständigkeit des ISGH

Das Seerechtsübereinkommen hat in seinen Artikeln 279 ff. umfangreiche Mechanismen zur friedlichen Streitbeilegung eingeführt (darunter auch der neugeschaffene ISGH). Doch Artikel 298 SRÜ gibt den Unterzeichnerstaaten der Konvention das Recht, in den dort genannten Fällen einen Vorbehalt gegen Verfahren vor dem Seegerichtshof und anderen internationalen Gerichten zu erheben:
"(1) Ein Staat kann unbeschadet der Verpflichtungen aus Abschnitt 1, wenn er dieses Übereinkommen unterzeichnet, ratifiziert oder ihm beitritt, oder zu jedem späteren Zeitpunkt schriftlich erklären, dass er einem oder mehreren der in Abschnitt 2 vorgesehenen Verfahren in Bezug auf eine oder mehrere der folgenden Arten von Streitigkeiten nicht zustimmt: [...]

b) Streitigkeiten über militärische Handlungen, einschliesslich militärischer Handlungen von Staatsschiffen und staatlichen Luftfahrzeugen, die anderen als Handelszwecken dienen, und Streitigkeiten über Vollstreckungshandlungen in Ausübung souveräner Rechte oder von Hoheitsbefugnissen, die nach Artikel 297 Absatz 2 oder 3 von der Gerichtsbarkeit eines Gerichtshofs oder Gerichts ausgenommen sind; [...]"
Das bedeutet, daß der ISGH in den von einem solchen Vorbehalt erfaßten Konstellationen nicht zuständig ist und auch nicht tätig werden darf. Die Staaten, die das SRÜ ratifiziert haben, haben von den Möglichkeiten, die ihnen Art. 298 SRÜ bietet, umfänglich Gebrauch gemacht. So haben z.B. Dänemark und Norwegen nahezu gleichlautende Vorbehalte abgegeben, die Art. 298 vollständig ausschöpfen, allerdings nur, soweit es sich um Schiedsgerichte handelt:
"The Government of the Kingdom of Norway declares pursuant to article 298 of the Convention that it does not accept an arbitral tribunal constituted in accordance with Annex VII for any of the categories of disputes mentioned in Article 298."
Etwas weniger umfangreich, dafür tiefergehender sind die Vorbehalte von Frankreich und Großbritannien:
"With reference to the provisions of article 298, paragraph 1, France does not accept any of the procedures provided for in Part XV, section 2, with respect to the following disputes: [...]
Disputes concerning military activities, including military activities by government vessels and aircraft engaged in non-commercial service, and disputes concerning law enforcement activities in regard to the exercise of sovereign rights or jurisdiction excluded from the jurisdiction of a court or tribunal under article 297, paragraph 2 or 3;"

"The United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland does not accept any of the procedures provided for in section 2 of Part XV of the Convention with respect to the categories of disputes referred to in paragraph 1 (b) and (c) of article 298."
Beide Staaten verbitten sich also jegliche Einmischung eines internationalen Gerichts in Fälle, die militärische, polizeiliche und ähnliche Amtshandlungen betreffen. Die Rußländische Föderation hat zum Zeitpunkt der Ratifikation des Übereinkommens am 12.03.1997 eine ebensolche Vorbehaltserklärung abgegeben:
"The Russian Federation declares that, in accordance with article 298 of the United Nations Convention on the Law of the Sea, it does not accept the procedures, provided for in section 2 of Part XV of the Convention, entailing binding decisions with respect to disputes [...] concerning military activities, including military activities by government vessels and aircraft, and disputes concerning law-enforcement activities in regard to the exercise of sovereign rights or jurisdiction;"
Auf diese Erklärung hat die (örtlich zuständige) Botschaft der RF in Berlin ausdrücklich Bezug genommen, als sie am 22.10.2013 dem ISGH eine Verbalnote übersandte, in welcher sie erklärte, daß Rußland weder an dem von den Niederlanden angestrebten Schiedsverfahren mitwirken noch vorläufige Maßnahmen des ISGH gem. Art. 290 V SRÜ akzeptieren werde. Zugleich wurde zum wiederholten Male die Bereitschaft Moskaus bekundet, mit eine bilaterale Lösung mit Den Haag zu suchen, die für beide Seiten akzeptabel ist. Selbstverständlich haben keine Vertreter der RF an der Anhörung von 06.11. teilgenommen.

Dieser im Völkerrechtsverkehr ganz normale Vorgang wurde von der deutschen Presse wie üblich böswillig, geradezu haßerfüllt kommentiert. Etwa von Martina Powell in der ZEIT: "Vorab hatte Russland angekündigt, die Verhandlung zu boykottieren." Die relevanten Rechtsfragen werden von Powell leider nicht erörtert. Statt dessen wird die RF den deutschen Lesern (wieder einmal) als internationaler Bösewicht, der angeblich mit niemandem kooperieren wolle, verkauft. Polemik statt Erforschung der Rechtslage. Die ZEIT fordert mithin - ohne es so deutlich zu formulieren -, daß für Rußland ein anderes Völkerrecht gelten soll als für das Vereinigte Königreich, für Frankreich, Dänemark oder Norwegen (s.o.). Sehen deutsche Journalisten die RF als minderwertiges Völkerrechtssubjekt an?

Mit welchen juristischen "Kapazitäten" das niederländische Außenministerium bei der Anhörung am 06.11.2013 in Hamburg aufgetreten ist, zeigt hinsichtlich der Zuständigkeit auch das folgende Begehren:
"The Kingdom of the Netherlands requests the International Tribunal for the Law of the Sea with respect to the dispute concerning the Arctic Sunrise, to declare that: [...]
b) the arbitral tribunal to which the dispute is being submitted has prima facie jurisdiction;"
Der Terminus "prima facie" bedeutet in der Juristensprache "nach dem ersten Anschein". D.h. die Niederlande behaupten, das von ihnen für den Fall "Arctic Sunrise" angestrebte Schiedsgericht sei auf den ersten Blick zuständig, obwohl die beklagte Partei seit 1997 ebendiese Zuständigkeit explizit ausschließt, indem sie sich einem solchen Gerichtsverfahren ausnahmsweise nicht unterwirft. Letzteres steht zudem in völligem Einklang mit Artikel 309 SRÜ, weshalb nicht einmal der "Notnagel" angewandt werden kann, den gem. Art. 298 SRÜ erklärten Vorbehalt der RF für unbeachtlich oder nichtig zu erklären.

Wie erkrankt müssen die Augen der holländischen Regierung also sein, um angesichts dieser Lage den von ihr behaupteten "ersten Blick" wahrzunehmen?

Ergebnis: Der Internationale Seegerichtshof muß Klage der Niederlande abweisen, denn er hat (um in der englischen Rechtssprache zu bleiben) keine Jurisdiktion über den Fall.

2. Materielle Mängel des niederländischen Antrages

Neben der fehlenden Zuständigkeit, die zur Klageabweisung führen muß, ist der niederländische Antrag auch insofern bemerkenswert, als er vom ISGH etwas fordert, was das Gericht laut Seerechtsübereinkommen nicht darf.
"The Kingdom of the Netherlands requests the International Tribunal for the Law of the Sea with respect to the dispute concerning the Arctic Sunrise, [...] to order, by means of provisional measures, the Russian Federation:

d) to immediately enable the Arctic Sunrise to be resupplied, to leave its place of detention and the maritime areas under the jurisdiction of the Russian Federation and to exercise the freedom of navigation;

e) to immediately release the crew members of the Arctic Sunrise, and allow them to leave the territory and maritime areas under the jurisdiction of the Russian Federation;

f) to suspend all judicial and administrative proceedings, and refrain from initiating any further proceedings, in connection with the incidents leading to the dispute concerning the Arctic Sunrise, and refrain from taking or enforcing any judicial or administrative measures against the Arctic Sunrise, its crew members, its owners and its operators; and

to ensure that no other action is taken which might aggravate or extend the dispute."
Das Königreich der Niederlande verlangt also vom ISGH eine weitreichende Anordnung, die darauf abzielt, das an die Kette gelegte Greenpeace-Schiff "Arctic Sunrise" unverzüglich freizugeben (lit. d)), seine Besatzung unverzüglich aus der Untersuchungshaft zu entlassen (lit. e)) und auf alle jetzigen und zukünftigen juristischen und administrativen Maßnahmen gegen Besatzungsmitglieder, Eigner und Reeder zu verzichten (lit. e)).

a) Vorläufige Maßnahmen

Dabei soll es sich laut Antrag allerdings nur um vorläufige Maßnahmen gem. Art. 290 SRÜ handeln. Doch schon aufgrund dieser von den Niederlanden genannten Rechtsnorm ist zweifelhaft, ob derart weitreichende Entscheidungen noch dem Charakter vorläufiger Maßnahmen entsprechen. Denn die geforderten Maßnahmen tragen doch sehr endgültigen Charakter. Nach Art. 290 V Satz 2 SRÜ kann das noch zu bildende Schiedsgericht, dem Holland die Streitigkeit unterbreiten will, nach seiner Bildung diese vorläufigen Maßnahmen ändern, widerrufen oder bestätigen.

Doch die geforderten Maßnahmen würden den Fall bereits endgültig endscheiden, das Schiedsgericht hätte gar nichts mehr zu verhandeln. Insbesondere könnte es die "vorläufige Entscheidung" nicht mehr abändern im Sinne von rückgängig machen, da die faktischen Voraussetzungen dafür nicht mehr gegeben wären. Das gilt insbesondere für die unter geforderte Freilassung der Untersuchungshäftlinge, die sich, nach ihrer Ausreise aus der RF, wohl nie wieder freiwillig zu einer Gerichtsverhandlung nach Rußland begeben werden.

Daher würde der ISGH, sollte er dem vorgebrachten Ansinnen folgen, seine Kompetenzen hinsichtlich vorläufiger Maßnahmen überschreiten. Denn diese müssen nach Art. 290 I SRÜ so ausgestaltet sein, daß sie die Rechte jeder Streitpartei bis zu einer endgültigen Entscheidung des Schiedsgerichts sichern. Das wäre vorliegend offensichtlich nicht der Fall.

Mithin darf der Seegerichtshof die geforderten vorläufigen Maßnahmen nicht anordnen.

b) Sachliche Unzulässigkeit der geforderten Maßnahmen

Insbesondere die von der königlichen Regierung geforderte Anordnung der Beendigung aller gerichtlichen und behördlichen Untersuchungen und sonstigen Maßnahmen gegen Besatzungsmitglieder der "Arctic Sunrise" durch Rußland (s.o. 2. unter lit. f) des Antrags) liegt außerhalb der Befugnisse des ISGH. In ihrem Vortrag berufen sich die niederländischen Vertreter auf Artikel 292 SRÜ, der die vorläufige Freigabe von festgesetzten Schiffen und Besatzungen regelt. Doch das weitreichend holländische Ansinnen, mit dem ein umfassendes Strafverfolgungsverbot erwirkt werden soll, ist mit dem Absatz 3 von Art. 292 unvereinbar. Darin heißt es:
"Der Antrag auf Freigabe wird von dem Gerichtshof oder Gericht unverzüglich behandelt, wobei nur die Frage der Freigabe behandelt wird; die Sache selbst, deren Gegenstand das Schiff, sein Eigentümer oder seine Besatzung ist, wird dadurch bezüglich des Verfahrens vor der zuständigen innerstaatlichen Instanz nicht berührt."
Das ist eindeutig. Ein zuständiges internationales Gericht dürfte folglich nur über die Freigabe als solche entscheiden - also über die Punkte d) und e) des oben zitierten niederländischen Antrages. Über Punkt e) allerdings nur insofern, als damit nicht faktisch laufende Verfahren vor der zuständigen innerstaatlichen Instanz Rußlands unmöglich gemacht würden.

Die Niederlande fordern somit vom Internationalen Seegerichtshof unter Verweis auf Art. 292 SRÜ eine Entscheidung, die das Gericht nach dem Wortlaut dieser Norm gar nicht treffen darf.

Dabei ist das holländische Ansinnen offensichtlich: Unter dem Deckmantel vorläufiger Maßnahmen soll der ISGH im Vorgriff auf ein noch gar nicht existierendes Schiedsgericht (das überdies gar nicht zuständig ist - s.o. 1.) den Fall Arctic Sunrise praktisch endgültig entscheiden. Anscheinend versuchen die Machthaber in Den Haag, in die souveräne Rechtsprechungsgewalt der Rußländischen Föderation einzudringen, um an dem Land ein Exempel zu statuieren.

Dabei bestehen weitere Zweifel dahingehend, ob das von den Niederlanden angedachte Verfahren des Artikels 292 SRÜ auf den vorliegenden Fall überhaupt anwendbar ist. Denn bei der Ausarbeitung der Norm hat man an andere Konstellationen als im Fall der "Arctic Sunrise" gedacht. Typische Anwendungsfälle sind z.B. Fischereifahrzeuge, die ohne Lizenz Fischfang betreiben oder trotz Lizenz die Fischereischutzbestimmungen mißachten. Oder aber Handelsschiffe, die illegalerweise während der Fahrt Abfälle in Meer entsorgen.

Für derartige Fälle ist im Seerechtsübereinkommen der ungeschriebene Grundsatz verankert, daß die Schiffe nicht länger als unbedingt nötig von den Behörden im Hafen festgehalten werden sollen, denn festliegende Schiffe sind bekanntlich totes Kapital. Der verursachte Schaden wird i.d.R. durch Bußgelder oder andere Geldzahlungen abgegolten. Die Daten des Schiffseigners sind bekannt und dieser muß eine Kaution hinterlegen, um sein Schiff wieder freizubekommen. Zudem sind Verstöße dieser Art i.d.R. nur einer Person anzulasten: dem Kapitän, dem die übrigen Besatzungsmitglieder unterstellt sind. Daher sind auch Fälle bekannt, in denen der verantwortliche Schiffsführer in Haft blieb, obwohl das Schiff und seine Besatzung bereits freigegeben waren. Soweit die typischen Fallgestaltungen.   

Bei der "Arctic Sunrise" ist die Lage jedoch anders. Das Schiff wird von Greenpeace International betrieben, einer "Nichtregierungsorganisation", die in Holland in der Rechtsform einer Stiftung organisiert ist. Schon daher besteht seitens Greenpeace kein anerkennenswertes wirtschaftliches Interesse daran, das Schiff unbedingt in Fahrt halten zu müssen. Zweitens war der von der Schiffsbesatzung begangene Rechtsbruch keine kleine Nebenhandlung während einer ansonsten ordnungsgemäßen Reise, sondern der Hauptzweck der Fahrt (s.u. 3. a)).
Und drittens hat wohl die gesamte Schiffsbesatzung enthusiastisch am Angriff auf die Bohrplattform "Priraslomnaja" teilgenommen. Somit dürfte es schwerfallen, die Verantwortung nur auf eine einzelne Person wie den Kapitän zu begrenzen. Beim Festhalten der "Arctic Sunrise" geht es nicht nur um das "Eintreiben" eines Bußgeldes vom Schiffseigner, sondern um die gerichtliche Klärung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit aller Besatzungsmitglieder.

Ergebnis: Der Internationale Seegerichtshof dürfte, selbst wenn er im vorliegenden Fall zuständig wäre (s.o. 1.), die vom Königreich der Niederlande geforderten Maßnahmen nicht anordnen, denn diese lägen großteils außerhalb seiner Kompetenzen.

Jetzt noch ein kurzer Schwenk zum bereits erwähnten Artikel von Martina Powell in der ZEIT. Sie behauptet:
"Entscheidet der Gerichtshof zu Gunsten der Niederlande, könnten die Inhaftierten vorläufig freikommen und im Ausland darauf warten, bis die Verhandlungen wegen "Rowdytums" vor russischen Gerichten beginnt."
Offenkundig ist Frau Powell mit dem Lesen und Verstehen der in englischer Sprache publizierten Gerichtsdokumente überfordert. Denn würde der ISGH zugunsten Den Haags entscheiden, dann dürfte es bezüglich der "Arctic Sunrise" überhaupt keine Gerichtsverfahren in Rußland mehr geben. So wollen es die Holländer (s.o. 2.). Warum unterstellt Powell ihnen etwas anderes?

Die "Arctic Sunrise" neben dem Küstenwachschiff "Ladoga" kurz nach
dem Einlaufen beider Schiffe in Murmansk (Foto: RIA Nowostij).

3. Weitere interessante Aspekte
a) Zweck der Fahrt der "Arctic Sunrise"

Während der Anhörung in Hamburg hat das Gericht die niederländischen Vertreter gefragt, ob die Entscheidung, in die Sicherheitszone der Bohrinsel einzudringen, vom Kapitän gefällt wurde oder ob Greenpeace als Organisation dafür verantwortlich ist. In ihrer Antwort zitieren die Niederlande aus einer Erklärung von Greenpeace. Darin gibt Greenpeace unumwunden zu, daß der Plan, in die Sicherheitszone einzudringen und einige "Aktivisten" die Bohrinsel entern zu lassen, bereits vor der Abfahrt des Schiffes aus seinem Heimathafen von Greenpeace selbst ausgearbeitet worden ist.

Das heißt, die Begehung illegaler Handlungen war der Hauptzweck der Reise der "Arctic Sunrise" und die während der Aktion an der "Priraslomnaja" begangenen Rechtsbrüche waren seitens der "Umweltschützer" von vornherein geplant.

b) Demonstrationsrecht in der Sicherheitszone und auf der Bohrinsel?

Die königliche Regierung in Den Haag vertritt die eigenartige Rechtsauffassung, daß es sich bei der Greenpeace-Aktion - also dem Eindringen in die Sicherheitszone der Bohrplattform und dem Entern derselben - um einen "friedlichen Protest" gehandelt hätte, der von den Freiheiten auf Meinungsäußerung und Demonstration geschützt gewesen sei. Außerdem sei von der Greenpeace-Aktion keine Gefahr ausgegangen, denn es seien Festrumpfschlauchboote verwendet worden. Auch das Entern der Bohrinsel hätte die Sicherheit nicht beeinträchtigt.

Diese Meinung steht allerdings im Widerspruch sowohl zum geltenden Recht als auch zur Staatenpraxis einschließlich der Rechtsprechung niederländischer Gerichte.

Eine Sicherheitszone dient nach Art. 60 IV SRÜ der Sicherheit der in ihr befindlichen künstlichen Anlage. Der Begriff Sicherheit ist hier nicht nur in einem engen Sinne von technischer Sicherheit oder Arbeits- bzw. Umweltschutz zu verstehen. Vielmehr sollen alle von außen kommenden  Beeinträchtigungen des ordnungsgemäßen Betriebes der Anlage ausgeschlossen werden.

Zur Gewährleistung der Sicherheit gehört ferner der Schutz der Anlage vor Angriffen, wie sie in Artikel 3 des Übereinkommens zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschiffahrt (ÜBWHSS) aufgeführt sind (siehe dazu auch hier). Greenpeace hat bereits bei der ersten Besetzung der "Priraslomnaja" in Jahr 2012 eine Straftat im Sinne von Art. 3 I lit. a9 ÜBWHSS begangen, indem sie durch Einschüchterung die Herrschaft über die Bohrinsel übernommen haben. Bei ihrem zweiten Angriff im September diesen Jahres sollte dies wiederholt werden, wurde aber abgewehrt. Doch bereits der Versuch stellt gem. Art. 3 II lit. a) ÜBWHSS eine Straftat dar.

(Leider geht die holländische Regierung in ihren Einlassungen nicht auf die Bedeutung dieses Vertrages für den Fall "Arctic Sunrise" ein.)

Des weiteren darf nicht vergessen werden, daß es sich bei der "Priraslomnaja" um Privateigentum eines Unternehmens handelt. Der Eigentümer und Betreiber hatte Greenpeace das Entern seiner Plattform explizit verboten. Trotzdem taten sie es - und konnten sich dabei nicht auf die Demonstrationsfreiheit berufen. Denn diese gewährt nicht das Recht, Privatgelände ohne Zustimmung des Eigentümers zu betreten und zu nutzen. So heißt es z.B. in Artikel 11 II der Europäischen Menschenrechtskonvention (der sowohl die Niederlande als auch Rußland beigetreten sind), daß die Versammlungsfreiheit einegschränkt werden darf, um die Rechte und Freiheiten anderer - hier: des Eigners der "Priraslomnaja" - zu schützen. Denn der Eigner kann sich ebenfalls auf die Menschenrechte berufen (vgl. Artikel 1 I 1 des Ersten Zusatzprotokolls zur EMRK).

Außerdem ist zweifelhaft, ob die Versammlungsfreiheit im Sinne der EMRK im vorliegenden Fall überhaupt anwendbar ist, denn die sog. "Aktivisten" waren ja bereits zuvor an Bord der "Arctic Sunrise" versammelt gewesen, mußten sich also in der Sicherheitszone nicht erneut "versammeln". Vielmehr haben sie diese an Bord ihres Schiffes bzw. dessen Beibooten auch gemeinsam betreten.

Noch absurder ist der niederländische Vortrag, die Greenpeace-Aktion sei vom Recht der freien Meinungsäußerung besonders geschützt gewesen. Dieses Recht ist allerdings nicht an einen bestimmten Ort gebunden, es hätte auch am Rande der Sicherheitszone wirksam ausgeübt werden können. Und daß es sich bei den Greenpeace-Aktionen in der Arktis keineswegs um "friedlichen Protest handelt, wurde in diesem Blog bereits hinreichend nachgewiesen (vgl. hier und hier).

Im übrigen gelten hinsichtlich dieses Komplexes die Gesetze der Rußländischen Föderation (StGB, Versammlungsrecht, Gesetz über die AWZ etc.). Dies ergibt sich unzweifelhaft aus Artikel 60 II SRÜ, wonach der Küstenstaat über die künstlichen Anlagen ausschließliche Hoheitsbefugnisse ausübt, einschließlich der Sicherheits- und Einreisegesetze sowie sonstiger diesbezüglicher Vorschriften.

Wie stehen nun andere Staaten zu diesem Thema? Die Rechtsauffassung der USA ist insofern eindeutig und in den entsprechenden Verfügungen der Küstenwache niedergelegt:
"Lawful demonstrations may be conducted outside of the safety zone."
Im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland ist das unerlaubte Einfahren in eine Sicherheitszone verboten und kann mit Geldstrafe oder einer Haftstrafe von bis zu zwei Jahren geahndet werden. Ausnahmen für Demonstrationen sind auch hier nicht vorgesehen. Die dänischen bzw. grönländischen Behörden betrachten das Eindringen in eine Sicherheitszone und das Entern einer Bohrinsel ebenfalls als rechtswidrig. Und in Neuseeland ist man derzeit damit beschäftigt, die eigene Rechtsordnung anzupassen, "to protect offshore petroleum and mineral activity from unlawful interference". Gemeint sind damit die üblichen Handlungen von Greenpeace und ähnlichen Gruppierungen.

Ferner setzt sich die Haager Regierung mit ihrer Meinung, das Entern der Bohrinsel "Priraslomnaja" sei vom Meinungs- und Demonstrationsfreiheit geschützt, in Widerspruch zur Justiz ihres eigenen Landes. Im Juni 2011 hatte ein niederländisches Gericht Greenpeace dazu verurteilt, keine Bohrplattformen der Fa. Cairn Energy mehr anzugreifen. Bei Zuwiderhandlung drohen den "Umweltaktivisten" Strafzahlungen in Höhe von 50.000 € pro Tag. Offenkundig sahen in diesem Fall die Richter - zu Recht - keinen besonderen Schutz der Greenpeaceattacken aufgrund irgendwelcher Grund- oder Menschenrechte.

Ergebnis: Die Gesetzgebung, Behördenpraxis und Rechtsprechung zahlreicher Staaten (einschließlich Hollands) bestätigen die Rechtsauffassung Rußlands, wonach es sich beim Eindringen in die Sicherheitszone und beim Entern der "Priraslomnaja" am 19.09.2013 um illegale Akte handelte, die nicht von der Demonstrations- oder Meinungsfreiheit geschützt waren.

c) Droht die "Arctic Sunrise" zu sinken?

Für besonderes Amusement sorgt bei sachkundigen Zuhörern die Behauptung der niederländischen Regierung, der aktuell im Hafen von Murmansk liegenden "Arctic Sunrise" drohe die akute Gefahr des Untergangs. Deswegen wird im Gerichtssaal sogar Gott angerufen:
"The events giving rise to this dispute took place in the Barents Sea. The Barents Sea was named after Willem Barentsz. In 1596, he sailed from Amsterdam to explore the North East Passage. His ship became stranded in ice and Captain Barentsz and his crew were forced to hibernate on Novaya Zemlya. It was a long and severe winter for the sailors. They built themselves, from the wreckage of the ship, a house. It was called 'Het Behouden Huys', the Safe House. After the winter, the survivors, with the assistance of Russian coastal communities, returned to Amsterdam, where they arrived at the beginning of November of the following year. Their account is part of our national cultural heritage.

Mr President, winter is coming. My government prays that the Arctic Sunrise and its crew may safely return to Amsterdam before the Arctic sun sets and winter comes."
Mangels durchgreifender Argumente wird von der Haager Regierung sogar die tragische Geschichte der Barents-Expedition im 16. Jahrhundert ausgeschlachtet und suggeriert, der "Arctic Sunrise" würde dasselbe Schicksal drohen. Dabei unterschlägt man allerdings, daß Barents zur Überwinterung auf der bekanntermaßen unwirtlichen Inselgruppe von Nowaja Semlja gezwungen war.

Demgegenüber befindet sich die "Arctic Sunrise" nicht in einem von Eisgang bedrohten Seegebiet, sondern im ganzjährig eisfreien Hafen von Murmansk. Die Entstehung dieses Hafens ist überhaupt nur der Tatsache zu verdanken, daß er und die vorgelagerten Seewasserstraßen vom Golfstrom erwärmt werden, weshalb sie auch im Winter nicht zufrieren. Anders sind die Gegebenheiten im traditionellen russischen Arktishafen Archangelsk, der, in der Bucht des Weißen Meeres gelegen, im Winter zufrieren kann.

Nach diesen pathetischen Worten legen die Holländer am 07.11. noch einmal nach und schreiben dem Gericht:
"Second, the Kingdom of the Netherlands has demonstrated [...] that the 'Arctic Sunrise' is at risk of perishing due to lack of servicing."
Das englische Verb "perishing" bedeutet "sinken", "untergehen". Man muß sich diesen Satz einmal auf der Zunge zergehen lassen: Die Niederlande behaupten - gestützt auf Informationen von Greenpeace -, daß sich die "Arctic Sunrise" in einem schlechten Allgemeinzustand befinde, so daß sie bereits anderthalb Monate nach ihrer Verbringung in den eisfreien Murmansker Hafen vom "Untergang" bedroht sei.

Damit bestätigt die königliche Regierung unbeabsichtigt die Vorbehalte, die in diesem Blog bereits vor wenigen Tagen formuliert worden waren: Die "Umweltschützer" von Greenpeace sind verantwortungslos mit einem fast vierzig Jahre alten Pott, der nicht hinreichend seetüchtig war, in das sensible Ökosystem der Arktis gefahren und haben dadurch die Umwelt, die zu schützen sie vorgeben, gefährdet. Wäre die "Arctic Sunrise" kein verrotteter Kahn, sondern ein ordentlich gewartetes Schiff, dann würde sie nicht schon nach wenigen Wochen wartungsfreier Liegezeit im Hafen zu sinken drohen.

Somit haben die Niederlande dem ISGH und der Öffentlichkeit ein weiteres, gegen Greenpeace wirkendes Argument frei Haus geliefert.

Die zuerst zitierte längere Passage aus den Einlassungen vor Gericht deutet auf zwei weitere Aspekte hin. Greenpeace behauptet bekanntlich (ebenso wie andere Umweltschutzorganisationen), daß der Welt akut eine Kilmakatastrophe drohe. In diesen Szenarien spielt das weitgehende Abschmelzen des Eises im Nordpolargebiet und, damit verbunden, der Anstieg des Meeresspiegels, eine zentrale Rolle. Wenn aber das Eis in der Arktis - so wie behauptet - schmelzen würde, wieso wäre dann die im sicheren Hafen liegende "Arctic Sunrise" von diesem Eis bedroht? Kommt die Klimakatastrophe vielleicht doch nicht?

Zweitens: Greenpeace und seine Unterstützer behaupten, Rußland und die Russen wären unfähig, mit der Arktis umzugehen, weshalb sie als Ausländer dazu berufen wären, zum Schutz dieses Gebietes einzugreifen. Diese These stellt eine ungeheure Anmaßung dar, werden doch die herausragenden Leistungen rußländischer Entdecker, Seeleute und Wissenschaftler bei der Erforschung der Polargebiete und der Nutzbarmachung der Arktis negiert.

Zudem wird sie von der Haager Regierung selbst in Zweifel gezogen, denn sie sagt - zutreffenderweise -, daß Willem Barents und seine Kameraden auf die Hilfe der im Polargebiet ansässigen russischen Bevölkerung angewiesen waren, um in ihre Heimat zurückkehren zu können. Allein hätten es die Holländer also nicht geschafft. Folglich können die Russen in Arktisbelangen nicht so unfähig sein wie hier in Westeuropa gern behauptet wird.

4. Prognose für den Ausgang des Verfahrens vor dem ISGH

Es fällt nicht schwer, die für den kommenden Freitag, den 22. November, erwartete Entscheidung des Internationalen Seegerichtshofs vorauszusehen. Die niederländische Klage dürfte abgewiesen werden. Schon aufgrund der fehlenden Zuständigkeit des ISGH, ferner wegen der Unzulässigkeit eines Teils der von den Niederlanden begehrten Maßnahmen. Möglicherweise läßt das Gericht den Antrag schon am ersten Punkt scheitern und verzichtet damit auf weitere Ausführungen in der Sache. (Dies gäbe unseren Medien dann Gelegenheit, die Niederlage von Holland - und damit von Greenpeace - kleinzureden, etwa indem behauptet würde, Rußland hätte nur aus formalen Gründen gewonnen, in der Sache jedoch hätten die Klage Recht gehabt.)

Meines Erachtens ist man sich in Den Haag dessen durchaus bewußt. Die sieben Vertreter der Regierung, die am 06.11. in Hamburg waren, sind ja nicht dumm. Sie wissen oder ahnen zumindest, daß es für ihre Position kaum juristische Argumente gibt. Deshalb auch die Emotionalisierung mit der Angst vor dem schlimmen Winter (trotz Erderwärmung).

Bei der Lektüre der niederländischen Schriftsätze fällt auf, daß die Regierung offenbar über keine eigenen Informationen über die Vorgänge in der Petschorasee verfügt. Statt dessen wird immer wieder nur auf die Verlautbarungen von Greenpeace verwiesen - eine erwiesenermaßen nicht vertrauenswürdige Informationsquelle. In einem Schriftsatz gibt das Außenministerium sogar Links zu Youtube-Videos an, statt dieselben herunterzuladen, auf eine CD zu brennen und dem Brief an das Gericht beizufügen. Nicht sehr professionell. Das Königreich der Niederlande hat sich also zum Sprachrohr von Greenpeace gemacht und sich dieser bekannten kriminellen Organisation auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.

5. Und wenn der ISGH wider Erwarten doch anders entscheidet?

Natürlich ist es nicht völlig ausgeschlossen, daß der Seegerichtshof den Niederlanden doch irgendwie entgegenkommt. Dem läge dann aber nicht die (nicht vorhandene) saubere juristische Argumentation Den Haags zu Grunde, sondern außerrechtliche Aspekte.

Zum einen könnten die Richter von ihrem Ego getrieben sein und wollen durch diesen Fall ihre eigene Wichtigkeit unter Beweis stellen. Zweitens stehen sie schon jetzt unter einem erheblichen Druck, insbesondere seitens der deutschen Medien, die den ISGH insgesamt infrage stellen. Dieser Druck geht auch an formal unabhängigen Gerichten nicht spurlos vorüber. Und drittens könnten die Richter schlicht Angst um ihre eigene Sicherheit haben. Sie wohnen in Hamburg und diese Stadt verfügt bekanntermaßen über eine virulente und gewaltbereite linksradikale Szene. Angesichts dessen ist die Furcht vor angezündeten Richterautos und ähnlichen Racheakten nicht von der Hand zu weisen. Daneben könnte Greenpeace sich auch direkt am Gerichtshof rächen und dessen Dienstgebäude in gewohnter Manier stürmen und besetzen.

Sollte der ISGH also wider Erwarten der Klage stattgeben, so müßte er in der Begründung seiner Entscheidung in etwa folgendes ausführen:
  • Die in Art. 298 SRÜ vorgesehenen und von vielen Staaten eingelegten Vorbehalte hinsichtlich der gerichtlichen Zuständigkeit wären nichtig.
  • Sicherheitszonen um Bohrinseln wären entgegen Art. 60 SRÜ unbeachtlich und dürften nach Lust und Laune befahren werden.
  • Es gäbe ein Recht auf das Entern anderer Seefahrzeuge, auch entgegen dem Willen des Eigners. Damit wäre das Übereinkommen zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschiffahrt ebenso wie die Rechte des Eigentümers weitgehend ausgehebelt, von der Bekämpfung der Piraterie, namentlich vor der afrikanischen Küste, ganz zu schweigen.
  • Im Namen der Demonstrationsfreiheit dürfte man ein fremdes Seefahrzeug auch besetzen und an ihm Veränderungen vornehmen. Insofern bestände eine Duldungspflicht des Eigners.
  • Es gäbe entgegen der Artikel 60 und 111 SRÜ sowie Art. 5 f. ÜBWHSS kein Recht des Küstenstaates, derartige Angriffe auf Bohrinseln abzuwehren und die Angreifer strafrechtlich zu verfolgen.
Wie man sieht, müßte der Seegerichtshof in seiner Begründung erhebliche Kunststücke vollbringen, um sich mit einer Entscheidung zugunsten der Niederlande nicht komplett unmöglich zu machen und damit seine Autorität zu untergraben. Das ist doch ziemlich unwahrscheinlich.

6. Weiterer Gang der Verfahren in Rußland

Nach der wahrscheinlichen holländischen Niederlage vor dem ISGH in Hamburg wird man in Den Haag mit dem Umdenken beginnen, seine bisherige unkooperative Haltung aufgeben und bilaterale Verhandlungen mit Rußland aufnehmen. Bei diesen dürfte es vor allem um zwei Themen gehen: Wie garantieren die Niederlande, daß Greenpeace nicht weitere illegale Aktionen in der Ausschließlichen Wirtschaftszone und im Küstenmeer der RF mit einem Schiff, das unter der Flagge des Königreiches fährt, durchführt. Und wie werden der Eigner der "Priraslomnaja" und die Küstenwache für jene Unkosten entschädigt, die ihnen im Zusammenhang mit der rechtswidrigen Greenpeaceaktion im September (und der ersten Besetzung 2012) entstanden sind.

Relativ unabhängig davon wird sich die strafrechtliche Aufarbeitung des Falles vollziehen, denn keiner der beteiligten "Aktivisten" ist niederländischer Staatsbürger. Im Ergebnis wird es bei den meisten wohl zu Verurteilungen wegen Rowdytums gemäß Artikel 213 StGB-RF kommen. Am Vorliegen dieses Tatbestandes zweifelt, soweit ersichtlich, keiner der von Journalisten dazu befragten Juristen. Dabei wird das Strafmaß vom Grad der individuellen Tatbeteiligung abhängen und sich vermutlich in einem Spektrum zwischen Geldstrafen und Haftstrafen von bis zu zwei Jahren bewegen. (Die selbe Zeitdauer ist übrigens auch im britischen Recht vorgesehen, s.o.)

Davon, daß die Ermittlungen gut vorangehen, zeugt, daß gestern und heute einige der Untersuchungshäftlinge vom Kalininskij- und vom Primorskij-Gericht in Sankt Petersburg gegen Kaution auf freien Fuß gesetzt worden sind - entgegen dem Antrag des Ermittlungskomitees. Bei anderen hingegen sind die Gerichte dem Ansinnen der Ankläger gefolgt und haben die U-Haft verlängert, was mit der offensichtlichen Fluchtgefahr begründet wird. Die vorerst freigelassenen ausländischen Beschuldigten müssen bis zur Gerichtsverhandlung im Lande bleiben und werden derweil in Petersburger Hotels wohnen. Mit dem Beginn der Hauptverhandlung ist wohl spätestens im Januar oder Februar zu rechnen.

Sofern einige der Beschuldigten zu Gefängnisstrafen verurteilt werden, müssen sie vermutlich nur einen Teil davon tatsächlich absitzen. Wahrscheinlich werden sie nach einigen Monaten entlassen, in ihre Heimatländer abgeschoben und mit einem lebenslangen Einreiseverbot belegt. Diese Verfahrensweise ist in der RF bei ausländischen Straftätern üblich.

Dann bliebe noch die Frage, was mit dem Schiff, der "Arctic Sunrise", passieren wird. Wie im deutschen Recht, so ist es auch im rußländischen Strafrecht möglich, Gegenstände, die zur Begehung von Straftaten verwendet wurden, einzuziehen (Artikel 104.1 I lit. g) StGB-RF). Somit könnte das Gericht das Schiff und seine Beiboote als Tatmittel konfiszieren. Ein solcher Schritt wäre wohl vor allem unter dem Gesichtspunkt der Spezialprävention geboten, also um die Begehung neuer Straftaten mit denselben Wasserfahrzeugen zu vermeiden. Dies um so mehr, als die "Arctic Sunrise" schon an zahlreichen kriminellen Handlungen, auch außerhalb Rußlands, beteiligt war (z.B. in Grönland und Großbritannien).

Insoweit wird es darauf ankommen, ob die Niederlande Rußland davon überzeugen können, daß es keine weiteren rechtswidrigen Aktionen mit der "Arctic Sunrise" und ihren Beibooten geben wird. Wenn die Haager Regierung dazu nicht willens oder fähig ist - wovon man angesichts ihrer demonstrativen Unterordnung unter Greenpeace ausgehen muß -, dürfte das Schiff wohl nicht so schnell nach Amsterdam zurückkehren.

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Donnerstag, 14. November 2013

Neues von den Greenpeace-Piraten

Demonstrantin vor der niederländischen Botschaft in Moskau:
"Greenpeace kämpft um PR! Die Arktis ist rußländisch!" (Foto: Itar-Tass).

Seit dem ersten Artikel zu diesem Thema, der vom 26. September stammt, sind einige Wochen vergangen, in denen es neue Entwicklungen gegeben hat, die nachfolgend erörtert werden.

1. Stand des Ermittlungsverfahrens

Den derzeit in Untersuchungshaft befindlichen Mitgliedern von Greenpeace wird nicht mehr Piraterie vorgeworfen. Dies hatte ich bereits Ende September vorausgesagt, ist doch die entsprechende Rechtsnorm (Art. 227) im Strafgesetzbuch der Rußländischen Föderation enger gefaßt als der völkerrechtliche Pirateriebegriff im Seerechtsübereinkommen (Art. 101). Nunmehr wird den Stürmern der Bohrplattform "Priraslomnaja" nur noch Rowdytum vorgeworfen. Dieser Straftatbestand stellt einen groben Verstoß gegen die öffentliche Ordnung dar (Art. 213 StGB-RF) und kann mit bis zu sieben Jahren Haft oder Geldstrafe geahndet werden. Damit hat sich der mögliche Strafrahmen schon um drei Jahre reduziert. 

Dies ändert freilich nichts an dem Befund, daß das Vorgehen der Besatzung der "Arctic Sunrise" völkerrechtlich als Piraterie einzustufen ist (siehe dazu unten 4.a)).

(Der Fall hat in den Niederlanden offenbar zu so großer Frustration geführt, daß die Haager Regierung Anfang Oktober ein Rollkommando ihrer Polizei beauftragt hat, den stellvertretenden Botschafter Rußlands in den Niederlanden in seiner Wohnung zu überfallen, zu verprügeln und stundenlang in Handschellen auf einer Polizeiwache festzuhalten.)

Obwohl die Greenpeace-Leute im Murmansker Untersuchungsgefängnis eine Vorzugsbehandlung genossen haben (Unterbringung in Einzelzimmern, Auswahl der Essensmenüs), klagte Greenpeace natürlich über die angeblich schlimme Behandlung seiner "Aktivisten". Sie hätten täglich nur eine Stunde Freigang und in Murmansk würden - typisch für die Arktis trotz "Klimakatastrophe" - die Winter sehr kalt sein. (Wohlgemerkt: Greenpeace hat nicht behauptet, daß es im Gefängnis zu kalt wäre.)

Dies hat das Untersuchungskomitee veranlaßt, die Arrestanten dieser Tage nach Sankt Petersburg zu verlegen. Dadurch soll auch den Zugang der Rechtsanwälte und Konsuln erleichtert werden. Ebenso wird der Prozeß, sollte es zu einer Anklageerhebung kommen, vor einem Petersburger Gericht stattfinden.

2. Die Logik von Berufsverbrechern

Hätte sich Greenpeace nach dem zweiten Vorfall auf der Bohrinsel (sie war im vergangenen Jahr schon einmal von Greenpeace besetzt worden) kooperativer verhalten, dann müßten seine Mitglieder nicht mehr in U-Haft sitzen, sondern könnten das Ergebnis der Ermittlungen in einem Hotel abwarten. Doch die von der Organisation angezettelte Kampagne weltweiter Aktionen, die in der Regel ebenfalls mit Gesetzesverstößen verbunden waren (man denke nur an Besetzungen von Tankstellen oder Aktionen in einem Baseler Fußballstadion oder auf dem Eiffelturm), zeigt, daß die "Umweltaktivisten" der Handlungslogik von Berufsverbrechern folgen: Keine Einsicht in die eigene Schuld, statt dessen werden weitere Straftaten begangen, um nicht unter die Folgen der ersten Straftat kommen zu müssen und die festgenommenen Kumpane freizupressen.

Damit haben sie jedem verantwortungsvolle Haftrichter auf dieser Welt gleich einen ganzen Strauß von Haftgründen frei Haus geliefert: Fluchtgefahr. Durch ihre medienwirksamen Aktionen hat Greenpeace womöglich viel Geld verdient, aber ihren Leuten in Murmansk haben sie einen Bärendienst erwiesen. Vielleicht sollten sie von Anfang an als Märtyrer aufgebaut werden.

3. Die Lügen von Greenpeace werden offenbar

Zugleich wird immer deutlicher, daß Greenpeace die Öffentlichkeit in den letzten Wochen massiv belogen hat. Wir erinnern uns beispielsweise an die Behauptung der Ökopiraten, die Beamten der rußländischen Küstenwache, die die "Arctic Sunrise" aufgebracht haben, würden die Besatzung mit Sturmgewehren bedrohen und Gewalt gegen sie anwenden. Doch am 08.11. hat Greenpeace selbst ein Video veröffentlicht, in dem ganz klar zu sehen ist, daß die an Bord kommenden Beamten sich korrekt verhalten. Eine "Bedrohung" der Besatzung mit Schußwaffen findet gerade nicht statt. Im Gegenteil, die von einem Teil der Beamten mitgeführten Langwaffen werden von diesen demonstrativ nach unten gehalten:




(Das Video zeigt allerdings auch, wie die Greenpeace-Leute versuchen, die Landung der Küstenwächter auf der Arctic Sunrise zu verhindern und dadurch Leben und Gesundheit der Beamten in Gefahr bringen, da diese ins Meer stürzen könnten. In zivilisierten Staaten nennt man das Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, was u.a. in der BRD ein eigenständiger Straftatbestand ist [§ 113 StGB].)

Fazit: Der übel beleumdete Grenzschutz Rußlands hat in seiner Pressemitteilung vom 20.09.2013 die Wahrheit gesagt, doch die Heiligen von Greenpeace haben erwiesenermaßen gelogen. (Und sie sind so dumm, die Beweise für ihre Lüge auch noch selbst publik zu machen und sich so in den Augen aller selbständig denkenden Menschen endgültig zu desavouieren.) Doch die vermeintlich kritischen deutschen Medien korrigieren ihre Falschberichterstattung nicht, zu sehr sind sie zu Sprachrohren von Greenpeace verkommen, denen es nicht um Fakten, sondern um die Verbreitung ihrer russophoben Agenda geht.

Das zeigt sich auch hinsichtlich einer zweiten Lüge. Eine Greenpeace-Mitarbeiterin wurde von deutschen Medien mit der Aussage zitiert, die Bohrplattform "Priraslomnaja" sei alt und verrostet und somit eine Gefahr für die Umwelt. Doch auch das kann nicht stimmen. Sämtliche Fotos, welche die Bohrinsel abbilden, zeigen ein gut in Schuß gehaltenes Seefahrzeug. Zudem ist das Greenpeace-Schiff mehr als doppelt so alt wie die Bohrinsel. Die "Priraslomnaja" wurde 1996 erbaut (also vor 17 Jahren), die "Arctic Sunrise" hingegen schwimmt schon 38 Jahre auf dem Wasser (Baujahr 1975).

Wenn sich Greenpeace also wirklich wegen alter und nicht mehr seetüchtiger Schiffe in der Arktis sorgen würde, dann hätten sie mit ihrem fast vierzig Jahre alten Kahn erst gar nicht in die sensible Petschorasee fahren dürfen. Daß sie es dennoch getan haben, belegt, wie geheuchelt ihr Alarmismus ist. Den sogenannten Aktivisten geht es nur um Publicity und die damit verbundenen Einnahmen.

Hätten wir in Deutschland wirklich eine kritische und unabhängige Presse, dann hätte man Greenpeace massiv mit diesen Tatsachen konfrontiert. Statt dessen beschränkt sich unsere Journaille größtenteils darauf, die Behauptungen von Greenpeace unkommentiert weiterzuverbreiten oder die Organisation sogar direkt zu unterstützen.

4. Kriminalgeschichte von Greenpeace

Einer der größten Mythen, mit dem sich das Großunternehmen Greenpeace umgibt und der willig wiedergekäut wird, ist die angebliche Gewaltlosigkeit ihrer Aktionen. Daß die "Umweltschützer" in Wirklichkeit höchst unfriedlich sind, soll anhand einer kleinen Kriminalgeschichte von Greenpeace dargelegt werden.

a) Piraterie

Wie groß und einhellig war die Empörung der deutschen Medien und der von ihnen abhängigen Politiker, als die "finstere Putin-Diktatur" es wagte, die glorreichen und heiligen Helden von Greenpeace der Piraterie zu bezichtigen. Dabei ist nicht nur untergegangen, daß die Aktion vor der Bohrinsel in der Petschorabucht unzweifelbar dem völkerrechtlichen Piratriebegriff unterfällt. Ebenso ist natürlich nicht erwähnt worden, daß bereits Mitglieder von Greenpeace wegen Piraterie rechtskräftig verurteilt worden sind - allerdings nicht in Rußland, sondern in Belgien, seines Zeichens Mitgliedsstaat von EU und NATO.

Am 19.12.1986 hatte der belgische Kassationshof, das höchste Gericht des Königreiches, über einen Revisionsantrag von Greenpeace gegen ein früheres Urteil des Antwerpener Appellationsgerichts zu entscheiden. Ausnahmsweise hat ein europäisches Gericht einmal Rückgrat bewiesen und das geltende Recht gegen die Agitation der Ökopiraten durchgesetzt.

Im vorliegenden Fall ging es um die Kaperung zweier niederländischer Schiffe (die "Wadsy Tanker" und die "Falco"), welche auf Hoher See Abfall entsorgten, durch Greenpeace-"Aktivisten". Sie enterten und besetzten die Schiffe und beschädigten Einrichtungen an Bord. Dies hat die belgische Justiz ganz zutreffend als gewaltsame Handlung im Sinne des seevölkerrechtliche Pirateriebegriffes eingestuft.
Auch das zweite Tatbestandsmerkmal, die Verfolgung privater Ziele, wurde zu Recht als erfüllt angesehen. Greenpeace handelte nicht im Auftrag eines Staates, sondern in Verfolgung der persönlichen Ideen und Interessen der Mitglieder der Organisation. Zudem wurde den "Aktivisten" persönlicher Haß, das Bedürfnis nach Rache und der Versuch, das Gesetz in die eigene Hand zu nehmen, attestiert.

Ergo wurde Greenpeace wegen Piraterie rechtskräftig verurteilt (nachzulesen in: International Law Reports, Bd. 77 [1988], S. 537 ff.). Seither kann und darf man diese Gruppierung ohne weiteres als Piraten titulieren, zumal sie ihre rechtswidrigen Taten nach 1986 fortgesetzt haben. 

b) Frühere Straftaten in der Arktis

Die Kriminalgeschichte von Greenpeace ist lang, weshalb es im folgenden nur um jene Delikte gehen soll, die im Zusammenhang mit der Ölförderung vor der grönländischen Küste stehen. Allein in den Jahren 2010/2011 hat Greenpeace fünf Gewaltakte gegen die von den demokratisch gewählten Regierungen Grönlands und Dänemarks veranlaßten Ölbohrungen durchgeführt. (Eine kurze Übersicht ist hier zu finden.) Daran war im Frühjahr 2011 auch das jetzt in Murmask festgehaltene Schiff "Arctic Sunrise" beteiligt. Erklärtes Ziel der demokratisch nicht legitimierten und großteils aus dem Ausland stammenden NGO-Piraten war (wie kürzlich auch in Rußland), die gewählte grönländische Regierung dazu zu zwingen, ihre Erdölaktivitäten einzustellen.

Dabei haben die Ökoterroristen nicht nur mehrmals Bohrplattformen geentert (daran hat man sich schon fast gewöhnt). Sie haben ferner Geschäftsräume in Edinburgh verwüstet. Alles ganz "friedlich", versteht sich. Ihren Kulminationspunkt erreichten die Auseinandersetzungen Ende Mai, Anfang Juni 2011. Zwei Greenpeaceschiffe haben tagelang die Bohrplattform "Leiv Eiriksson" belagert, so daß sich schließlich die dänische Marine und die grönländische Polizei zum Eingreifen genötigt sahen.

Am 04.06.2011 hatten die Ökos zum Showdown geblasen. 18 ihrer Mitglieder verletzten die Sicherheitszone und enterten die Bohrinsel. Vier hatten sich in Krankabinen verbarrikadiert und die Sicherheitskräfte brauchten, um die Eindringlinge zu entfernen und auf der "Leiv Eiriksson" wieder geordnete Verhältnisse herzustellen, damit die Arbeiten weitergehen konnten.

Diese Vorgänge zeigen, daß viele der Menschen in der Arktis aufgeatmet haben dürften, als sie erfuhren, daß die "Arctic Sunrise" von der rußländischen Küstenwache festgesetzt worden ist. Auf absehbare Zeit geht zumindest von diesem Greenpeace-Schiff und seiner Besatzung keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mehr aus.

c) Greenpeace als kriminelle Organisation

Nach der Grönlandaffäre hat das von Greenpeace geschädigte Unternehmen in den Niederlanden eine Klage gegen die Organisation eingereicht, um sie zur Unterlassung ihrer Gesetzesbrüche zu verpflichten. Darauf reagierten die "Umweltschützer" mit einem arroganten Statement, welches enthüllt, daß sie nicht nur das Völkerrecht und staatliche Gesetze bewußt mißachten, sondern auch auf Behörden und Justiz einen feuchten Kehrricht geben:
"This oil company has been hiding behind the Greenland government and the Danish navy, and now it's trying to use the Dutch courts. It can hire all the lawyers it likes, but it can't hide the huge risks it's taking with this beautiful and fragile environment."
Nachdem das niederländische Gericht der Klage gegen Greenpeace stattgegeben hatte und ihnen weitere Behinderungen der Bohrungen von Cairn Energy untersagte, reagierten die Ökoterroristen mit einer kurzen Bekanntgabe:
"Greenpeace said it would continue its campaign "to kick the oil companies out of the Arctic"."
Mit anderen Worten: Gesetze und internationale Verträge, Anordnungen der dazu befugten Behörden, ja sogar Urteile von Gerichten werden Greenpeace nicht davon abhalten, Aktionen durchzuführen, die sie für notwendig und richtig erachten. Diese Ökofanatiker sind derart von ihrer "Mission" besessen, daß sie die zivilisatorischen Errungenschaften des Rechts vollständig verachten, solange diese ihrem Kreuzzug im Wege stehen. Wie eine Bande von Berufsverbrechern handeln die Umweltpiraten nur nach ihren eigenen, privaten Regeln und erachten das allgemein geltende Recht für irrelevant.

Sie haben sich von der menschlichen Gesellschaft abgesondert und halten sich für etwas besseres, dazu berufen, dem Rest der Menschheit ihre eigene Meinung mit Gewalt aufzuzwingen. Niemand hat diese Organisation jemals in ein öffentliches Amt gewählt und dennoch haben sie in Westeuropa mehr Einfluß als viele der gewählten Regierungen.

d) Weitere Delikte

Mit Genugtuung wurde in den russischen Medien die Nachricht aufgenommen, daß eine Finnin, welche auch an der jüngsten Bohrinselenterung beteiligt war, bereits 2011 in ihrer Heimat zu einer Geldstrafe verurteilt wurde, weil sie eine Unternehmensveranstaltung gestürmt hatte. Ebenso wird erfreut darauf hingewiesen, daß erst kürzlich neun Greenpeace-"Aktivisten" von einem Stockholmer Gericht verurteilt worden sind, weil sie auf rechtswidrigem Wege gegen zwei schwedische Kernkraftwerke vorgegangen waren. 

Dies verschlechtert im Fall "Arctic Sunrise" natürlich die Verhandlungspositionen Finnlands und Schwedens gegenüber Rußland. Denn beide Regierungen werden in aller Peinlichkeit erklären müssen, weshalb Personen, die sie selbst bestraft haben, in Rußland nach einer ähnlichen Handlung plötzlich ohne Sanktion ausgehen sollen.

5. Reaktionen in Rußland

Wie zu erwarten war, ist die Reaktion des rußländischen Volkes auf die Vorgänge um die "Priraslomnaja" eine andere als in Deutschland. Die Soziologen vom Lewada-Zentrum veröffentlichten am 11.11. die Ergebnisse einer Umfrage, wonach die Mehrheit der befragten Bürger die Vorgehensweise von Greenpeace mißbilligt. Das deckt sich mit den Erfahrungen des Verfassers, wonach in Rußland die herkömmlichen Vorstellungen vom Recht, die früher auch bei uns galten, noch lange nicht so aufgeweicht sind wie hierzulande. Die Russen sind der Auffassung, daß der Hausherr bestimmt, wer eine Liegenschaft betreten darf und wer nicht. Die Anmaßung selbsternannter Aktivisten erscheint ihnen - zu Recht - als unerhörte Zumutung.

Unterdessen hat sich die königliche Regierung in Den Haag aufgemacht, um gegen Rußland vor dem Internationalen Seegerichtshof vorzugehen. Dieses Verfahren wird im nächsten Beitrag dieses Blogs, der in den kommenden Tagen erscheinen wird, näher beleuchtet.

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Die Piraten von Greenpeace
Rußland in der Arktis

Freitag, 18. Oktober 2013

Leipzig 1813-1913-2013


Im Oktober diesen Jahres jährt sich die Völkerschlacht bei Leipzig zum zweihundertsten Mal. Aus diesem Anlaß finden in der Messestadt dieser Tage zahlreiche Veranstaltungen statt. Unbestrittener Höhepunkt ist die Rekonstruktion der Schlacht, die am kommenden Sonntag, dem 20. Oktober, ab 12 Uhr in Markleeberg aufgeführt wird. Tausende Reenactors und Touristen aus ganz Europa sind bereits in der Stadt.

Der gestrige Donnerstag stand ganz im Zeichen des Gedenkens an die rußländischen Teilnehmer der Schlacht vor 200 Jahren. Zudem wurde vor 100 Jahren in Leipzig die St. Alexij-Gedächtniskirche eingeweiht. Somit gab es bereits zwei erinnerungswürde Anlässe.

Die russisch-orthodoxe Kirchengemeinde hatte am Morgen zu einem Festgottesdienst eingeladen, an den sich eine kleine Prozession um die eingerüstete Kirche anschloß. Dabei wurde insbesondere der Gefallenen gedacht. Danach wurde ein Gedenkstein für drei rußländische Diplomaten eingeweiht, die in Leipzig als Konsuln gewirkt haben und in der Stadt verstorben und begraben sind. Anschließend wurden Blumen und Kränze an den Gräbern und Gedenksteinenen auf dem Kirchengrundstück niedergelegt.

Dabei waren auch hochrangige Gäste zugegen, etwa der Botschafter der RF in Berlin, der Leipziger Oberbürgermeister sowie Vertreter der Moskauer Stadtregierung, die die derzeitige Sanierung des Kirchengebäudes maßgeblich mitfinanziert.
Bemerkenswert war die Ansprache des Oberbürgermeisters Jung (SPD). Während es manche Bundespolitiker wohl kaum abwarten können, Rußland wieder den Krieg zu erklären, betonte er, in Anbetracht der Schrecknisse, die seine Stadt vor zwei Jahrhunderten erleben mußte, sei der Friede in Europa ein wertvolles Geschenk.
Russische Redner betonten die Freundschaft zwischen Deutschland und Rußland, die sich insbesondere in der Waffenbrüderschaft der Jahre 1813/15 zeige. Zudem hätten sich die drei geehrten Diplomaten besonders um den Ausbau der Beziehungen zwischen Sachsen und Rußland verdient gemacht.

Nachfolgend eine kleine Fotoreportage von den Feierlichkeiten:


Mehre hundert Menschen hatten sich am Donnerstag zum Festgottesdienst versammelt.

 

Auch die Bundeswehr war präsent.


Kränze für die Gefallenen auf dem Feld vor der Kirche.

Auf der Rückseite der Alexij-Gedächtniskirche.

Dem OB wird eine Dreifaltigkeitsikone überreicht.

Der OB während seiner Rede.

Das Grab von A. v. Jurgenew, einem 1813 gefallenen Oberstleutnant.

Das Grab von A. v. Jurgenew, einem 1813 gefallenen Oberstleutnant.

Der Gedenkstein für die drei Konsuln kurz vor seiner Enthüllung. Im Vordergrund links der Künstler.

Der neue Gedenkstein.

"Zu Ehren der Diplomaten des Russischen Reiches F. Saposhnikow 1748-1789, J. von Schwarz 1749-1818, E. Tom Have 1806-1877, die im Dienst des Vaterlands standen und ihre ewige Ruhe in Leipzig fanden."


Kosaken aus Jekaterinburg assistieren bei der Liturgie.





Orenburger Kosaken.

Diese Kosaken werden am Sonntag am großen Reenactment teilnehmen.

Der Kirchenchor.


Baschkirische Reenactors an ihrem Gedenkstein vor der Alexij-Kirche.



"Völkerschlacht 1813. Zum Gedenken an das baschkirische Volk, dessen Söhne im Heer der russischen Armee dienten" (errichtet 2003).

Gebet der Baschkiren.

Ein Reenactor in einer russischen Diplomatenuniform gibt ein Fernsehinterview.

Polizeischutz.